Europawahl 2009:Europa muss man einfach lieben

Wir haben uns angewöhnt, über Europa zu mäkeln. Doch Europa ist ein Wunder - und wir haben verlernt, dieses Wunder zu sehen.

Heribert Prantl

Der Europawahlkampf läuft ziemlich matt dahin. Wir haben es uns angewöhnt, über Europa zu mäkeln, wie es die Schüler über die Schule tun.

Europawahl 2009: Traum Europa: Nie konnten sich die Bewohner dieses Kontinents so frei bewegen, nie gab es so wenig Schranken, Grenzen, Hemmnisse.

Traum Europa: Nie konnten sich die Bewohner dieses Kontinents so frei bewegen, nie gab es so wenig Schranken, Grenzen, Hemmnisse.

(Foto: Foto: dpa)

Wir haben es uns angewöhnt, über die Bürokratie von Brüssel zu klagen, über die Demokratiedefizite, über die Kosten, über den Wirrwarr von Richtlinien.

Und die meisten Politiker mäkeln kräftig mit. Früher haben sie ihre Reden mit dem Satz begonnen: "Ich bin für Europa, und deshalb ..." Heute reden selbst die Europa-Befürworter wie folgt: "Ich bin für Europa, aber ..." Wir haben verlernt, das Wunder zu sehen.

Europa ist ein Wunder. Dieses Europa der Europäischen Union ist das Beste, was Europa je passiert ist.

Es sind Pfingstferien - und wir fahren nach Florenz und nach Nizza, nach Prag, Athen und Kopenhagen, wir laufen durch die Museen, durch die Klöster, Schlösser und Gärten, Kirchen und Tempel, wir sind vergnügt, schauen mit großen Augen - und sehen trotzdem nicht, wie diese Europäische Union all dies bewahrt, in sich birgt und darauf aufbaut.

Wie würde Joseph Roth, der große Schriftsteller, der Herzens-Europäer, heute durch dieses neue Europa gehen?

1932 hat er in der Frankfurter Zeitung, im Vorwort zu seinem "Radetzkymarsch", bittere Klage geführt über den Untergang des alten Europa: "Ein grausamer Wille der Geschichte hat mein altes Vaterland, die österreichisch-ungarische Monarchie, zertrümmert. Ich habe es geliebt, dieses Vaterland, das mir erlaubte, ein Patriot und ein Weltbürger zugleich zu sein, ein Österreicher und ein Deutscher unter allen österreichischen Völkern. Ich habe die Tugenden und die Vorzüge dieses Vaterlands geliebt, und ich liebe heute, da es verstorben und verloren ist, auch noch seine Fehler und Schwächen."

Aus Trauer über den Untergang des alten Europa und des Vielvölkersstaates der Habsburger hat er sich damals erst in die Kapuzinergruft und dann in den Alkohol geflüchtet. Herrgott, wie würde dieser Joseph Roth heute schreiben!

Er würde jubilieren, er würde tanzen in seinem Café Tournon, er würde schreiben und schreiben. Er würde die europäische Geschichte tanzen lassen. Und es wäre ihm schwindlig vor Glück: Sein altes Europa ist ganz neu auferstanden, größer, friedlicher, einiger denn je.

Nie konnten sich die Menschen dieses Kontinents in diesem Kontinent so frei bewegen, nie gab es so wenig Schranken, Grenzen, Hemmnisse.

Millionen Urlauber erfahren und erleben es wieder in diesen Pfingsttagen. Mehr denn je können die Menschen in diesem Europa das sein, was Joseph Roth sein wollte: Patriot und Weltbürger.

Pfingsten ist ja das Fest des Geistes: Wenn dieser Geist endlich wieder in die Europäer fährt, dann müsste die Wahlbeteiligung am 7. Juni bei 90 Prozent liegen. Jeder Wahlschein ist eine europäische Eintrittskarte.

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