Europas Linke:Im Zangengriff

Seit Jahren leidet Europas Sozialdemokratie. Im Zangen-griff von Progessiven, Konserva-tiven, Extrem-Linken und Populisten wird ihre Stimme dünner. Auch Symboltreffen können nicht darüber hinweg-täuschen, dass die Gestaltungs-macht in der EU verloren ist.

Von Stefan Kornelius

Zum Rhythmus der europäischen Politik gehört es, dass nicht nur die Staats- und Regierungschefs ihr Tun und Lassen abstimmen, sondern dass auch das parteifarblich geordnete Spitzenpersonal zum Treueschwur antritt. Jetzt, nach der Sommerpause und der Brexit-Zäsur, wird wieder einmal die Uhr zur Beratung angehalten, was vor allem für eine Farbgruppierung zu schmerzlicher Selbsterkenntnis führt: für die Roten, die europäische Sozialdemokratie.

Regelmäßig treffen sich die gemäßigten Mitte-links-Vertreter, meist unter der Obhut des französischen Präsidenten, um festzustellen - wie wenig sie feststellen können. Die Gruppe könnte disparater nicht sein: hier der oberste französische Sozialist und Präsident - ein Symbol der Unentschlossenheit; dort der österreichische Bundeskanzler - fest vertäut im sehr speziellen Parteienraster seines Landes, zusätzlich gefesselt von den nahenden Präsidentschaftswahlen; schließlich der slowakische Premier, der mit jeder weiteren Amtszeit stärker nach rechts driftet. Viel verbindet die Herren nicht.

Europas Sozialdemokratie steckt seit Jahren in der Krise, kaum ein Land, in dem sie nicht verzweifelt nach ihrer Identität suchte oder gar in heftigen Selbstzerstörungs- und Selbstbehauptungskämpfen steckte. Besonders Labour in Großbritannien gebärdet sich unter Jeremy Corbyn wie ein Mann ohne Unterleib - dem Vorsitzenden läuft die Führungsmannschaft davon, während das Parteivolk johlt und klatscht. Die Sozialisten in Frankreich verstehen ihre Regierungszeit offenbar als Zeit der Abschreckung. Und in Spanien belegt die Linke durch Obstruktion ihre Unwählbarkeit.

Die Sozialdemokratie hat in der EU keine Gestaltungsmacht mehr

Die Sehnsucht nach Internationalität und Vergleichbarkeit mag ein sozialdemokratisches Phänomen sein. In sofern muss es sich die Parteienfamilie gefallen lassen, dass sie paneuropäisch gemessen wird, obwohl häufig sehr spezielle, nationale Gründe für die Schwindsucht verantwortlich sind. Gleichwohl gibt es ein gemeinsames Phänomen, das den Niedergang der europäischen Linken erklärt: Keine Parteiengruppierung geriet stärker in den Zangengriff als die Sozialdemokratie.

Nur 16 Jahre sind seit der Blütezeit der europäischen Linken mit einem Premierminister Tony Blair und einem Bundeskanzler Gerhard Schröder vergangen. 16 Jahre aber, in denen die Mitte-links-Parteien von ihrem eigenen Erfolg überrollt und von der politischen Konkurrenz niedergetrampelt wurden: von den Grünen und progressiven Kräften, welche die junge Wählerklientel banden; von den konservativen Parteien, die sich lange ungehindert nach links ausdehnen konnten; von vielen linken Splitterparteien; und nun auch noch von den Neo-Populisten, die im klassischen Milieu der sogenannten kleinen Leute fischen und dabei jedes Tabu ungestraft brechen können.

Nun, da die Welt wieder schrumpft, die Globalisierung ihren Scheitelpunkt anscheinend erklommen hat, die Themen Gerechtigkeit und Verteilung selbst den US- Wahlkampf erreichen und die Parteienlager allemal in heftiger Bewegung sind, könnte der Sozialdemokratie ein beachtliches Stück vom Kuchen zufallen. Könnte - aber überall in Europa ist sie gefangen: in der Verantwortung als Regierungspartei, in ihrer Tradition, von den politischen Altlasten gerade vergangener Tage.

Ein bisschen Europa-Romantik auf einem französischen Schlösschen kann nicht verdecken, dass es keine sozialdemokratische Flüchtlingspolitik gibt und keine sozialdemokratische Wachstumspolitik. Die Macht in Europa hat sich über die Parteienlager erhoben, sie liegt bei den Regierungschefs - gleich welcher Couleur. François Hollande wird es nicht mehr schaffen, als Bannerträger der Linken den Sinnstifter zu geben.

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