Europas Grenzen:Neue Häuschen zur Kontrolle

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Die deutsch-dänische Grenze wird nach vielen Jahren wieder zu einer zunehmend sichtbaren Trennlinie.

Von Silke Bigalke, Apenrade

Im Sommer treffen sie sich jeden Monat mit ihren Fahrrädern an der Grenze, Dänen und Deutsche, Grenzlandbewohner. Dort steht eine Würstchenbude, meist auf deutscher Seite, da ist das Bier billiger. Nach der Wurst fahren sie gemeinsam los, etwa hundert Leute, sagt Hinrich Jürgensen von der deutschen Minderheit. Vor zwei Jahren hat er die Radler zum ersten Mal an ihre Pässe erinnert. Seit Anfang 2016 kontrollieren die Dänen ihre Grenze.

Kontrollen sind für viele vor allem Symbolpolitik. Die Landesgrenze zwischen Dänemark und Deutschland ist 70 Kilometer lang, an drei Übergängen wird ständig kontrolliert, an den anderen zehn sporadisch. Die Regierung verschärft die Kontrollen immer wieder, zuletzt argumentierte sie mit Terrorgefahr, um sich die Zustimmung aus Brüssel zu sichern. Neue Grenzhäuschen sind bereits beschlossene Sache. Die einst unsichtbare Linie wird zur immer sichtbareren Trennung.

Es geht längst nicht mehr nur um Flüchtlinge. 2017 kamen ohnehin nur noch 3500, die niedrigste Zahl seit neun Jahren. Ob die Kontrollen dazu beigetragen haben, lässt sich nicht sagen. Bis Januar 2018 hat die dänische Polizei in 4600 Fällen Einreisende abgewiesen, sie nennt aber nicht die Gründe. Es könnten hauptsächlich Touristen gewesen sein, die schlicht ihren Ausweis vergessen haben.

Die Nichte wird regelmäßig an der Grenze kontrolliert - sie ist mit einem Afrikaner verheiratet

Hinrich Jürgensen lebt in Tinglev, 15 Kilometer von der Grenze entfernt. Ihn winken sie immer durch, außer einmal, als er den Kontrollstand mit einer Hotdog-Bude verglichen hat. "Das war natürlich provozierend", sagt er. Andere müssten regelmäßig halten, seine Nichte etwa, die mit einem Afrikaner verheiratet ist, der Nachbar aus Holland mit seinem niederländischen Kennzeichen. "Das ist nur eine kleine Anzahl, aber für die ist es richtig lästig."

Sønderjylland, oder Süderjütland, ist eine besondere Gegend, früher deutsch, heute dänisch. Nirgendwo hat die Dänische Volkspartei zuletzt mehr Stimmen geholt. Man nennt es daher auch das "gelbe" Dänemark, nach der Farbe der Rechtspopulisten. Vor dem Büro von Thomas Andresen ist es schön grün, er schaut auf Wiesen und Wasser. Der Bürgermeister im süddänischen Apenrade ist ein Liberaler, wie der dänische Premier, und wie er ist er auf die Rechtspopulisten angewiesen. Diese haben fünf Sitze im Stadtrat, vor der Flüchtlingskrise waren es zwei. Andresen ärgert sich über die Grenzkontrollen, die seien "eigentlich Quatsch", doch die Regierung wolle die Volkspartei an Bord halten.

Die Frage ist, wie weit Kopenhagen mit dieser Strategie noch gehen möchte. Das Burka-Verbot, die Regel, dass Asylsuchende ihre Wertsachen abgeben müssen, all das hat auch außerhalb Dänemarks Schlagzeilen gemacht. Natürlich war das Kalkül, Dänemark wollte ungastlich erscheinen. Der dänische Premier Lars Løkke Rasmussen war auch einer der ersten, die Asylzentren außerhalb der EU gefordert hatten.

Dabei sei es doch so, sagt Bürgermeister Andresen: Wenn man die Süd-Dänen frage, wann sie zuletzt einem Flüchtling begegnet sind, hätten die meisten keine Antwort. "Wir sehen die nicht. Das ist wirklich psychologisch". Seine Sorge? "Dass man jetzt in Deutschland sitzt und sagt, die Dänen sind feindlich uns gegenüber, überlassen uns die Flüchtlingsprobleme."

Andresen sorgt sich um die Unternehmen der Region: Die Lastwagen von Mogens Therkelsen etwa, Seniorchef des Logistikers in Pattburg, fahren alle durch Deutschland, die Hälfte seiner Mitarbeiter kommt von dort, er spricht die Sprache fließend. Normalerweise, sagt Therkelsen, müssten seine Fahrer an der Grenze nicht halten. Aber an Feiertagen und zum Bettenwechsel staut es sich durch die Kontrollen. Therkelsen fährt frische Lebensmittel. "Wenn wir an der Grenze nur eine halbe Stunde verlieren, ist das deutlich spürbar in unserem Fahrplan", sagt er.

Der Übergang Kruså liegt fünf Kilometer weiter, ein graues Zelt, Warnlichter, man muss bremsen. Mogens Therkelsen fände es andersherum besser: Wenn die deutsche Polizei auch den Verkehr aus Dänemark kontrollieren würde. "Wir haben hier leider sehr viele Diebstähle", sagt er. Das Diebstahl-Argument hört man oft. Wer für die Kontrollen ist, fühlt sich nun sicherer. Wer dagegen ist, sagt, dass die Polizei viel effektiver arbeiten würde, wenn sie nicht an der Grenze herumstünde.

Ejler Schütt will die Kontrollen schon lange. Er will "mehr Polizei, mehr Leute" an die Grenze schicken, sie sollen "mit Hunden patrouillieren und allem, was dazu gehört". Schütt sitzt für die Dänische Volkspartei im Stadtrat von Apenrade. "Das Nationalgefühl ist hier sehr stark ausgeprägt", sagt er. "Wir wohnen unweit von Deutschland und vergleichen: Wir haben es gut hier." Dann schimpft er über Angela Merkel, über die Flüchtlinge, die 2015 auf der Autobahn Richtung Kopenhagen gelaufen sind. Jeder, der über die Grenze spricht, kommt irgendwann darauf zurück. Bürgermeister Andresen erklärt sich das nicht nur mit dem dänischen Ordnungssinn. Viele habe es geärgert, dass die Flüchtlinge weiter nach Schweden wollten, "dass Dänemark ihnen nicht gut genug war".

Zum kleinen Übergang am Sofiedalvej fährt man durch eine verschlafene Gegend mit gepflegten Höfen. Die Grenze markiert mal ein Graben, mal eine Baumreihe, das Ende des Feldes. Zwei Polizisten wollen Ausweise sehen. Bald soll auch ein Zaun durch dieses Idyll verlaufen, um deutsche Wildschweine und die Afrikanische Schweinepest fernzuhalten. Manche halten den Zaun für nutzlos. Für die Volkspartei ist er eine Gelegenheit: Lokalpolitiker Schütt würde ihn am liebsten gleich höher bauen, um auch andere "illegale Passanten" auszusperren.

Dabei kehren immer mehr Geflüchtete freiwillig zurück, reisen Richtung Süden, oft weil ihr Asylantrag abgelehnt wurde. In den ersten drei Monaten 2018 hat die deutsche Polizei 420 Menschen aufgegriffen, die über die Landesgrenze illegal aus Dänemark eingereist sind.

Binationale Polizeistreifen gibt es immer seltener, denn die Dänen ordern ihr Personal an die Grenze

In Flensburg seien die Rückkehrer kein großes Thema, sagt Oberbürgermeisterin Simone Lange. Die dänischen Kontrollen sind es für sie schon. Bei einem Treffen, einige Zeit bevor sich die EU-Länder auf eine neue Asylpolitik einigen, spricht sie in ihrem Flensburger Wohnzimmer über Schlagbäume und Grenzhäuschen, die eigentlich längst Vergangenheit waren. "Wir hatten alles getan, damit sie auch aus unseren Köpfen verschwinden." Deutsche und Dänen arbeiten in Ausschüssen zusammen, beim Zoll und im Polizeizentrum in Pattburg. Früher sind sie gemeinsam Streife gefahren. "Das ist eine tolle Entwicklung gewesen, aber im Moment stockt sie total", sagt Lange. Die Dänen hätten Personal abgezogen, wegen der Kontrollen.

Peter Hansen ist einer von knapp 14 000 deutschen Pendlern, die täglich nach Dänemark fahren. Er arbeitet in Pattburg für die "Region Sønderjylland-Schleswig". Die Behörde fördert die gemeinsame Kultur, die verschiedenen Sprachen, Plattdeutsch, Sønderjysk. Sie hilft Übersiedlern und Arbeitgebern mit Papierkram. Hansens Job ist es, Barrieren abzubauen. Die Grenzkontrollen nimmt er trotzdem gelassen. Vor 20 Jahren, sagt er, "war hier noch kalter Krieg", habe es "Morddrohungen gegen dänische Politiker" gegeben, die für die EU waren. Heute gibt es Freundschaften. Mancher Deutsche spüre nun, dass die Dänen "doch anders ticken als wir", sagt er. Die hätten nichts dagegen, wenn der Staat ihre Daten speichert, Nummernschilder scannt, Soldaten an die Grenze stellt. "Das ist eine andere Kultur in Deutschland."

Hinrich Jürgensen von der deutschen Minderheit plant die nächste Radtour. Er sorgt sich nicht. "Wenn diese lächerliche Kontrollen Projekte beeinträchtigen", sagt er, "dann war die Zusammenarbeit nicht gut genug".

© SZ vom 12.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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