Europakritische Partei in Großbritannien:Die unfeine britische Art

Britain's UK Independence Party leader Farage speaks during an event entitled 'These European Elections Matter' at the London School of Economics in London

Nigel Farage, Chef der Ukip

(Foto: REUTERS)

Mitglieder der UK Independence Party fallen häufig durch rassistische oder frauenfeindliche Äußerungen auf. Der jüngste Skandal: Der Ex-Parteisprecher war Boss einer Entführerbande. Die Chancen der Partei bei der Europawahl stehen trotzdem nicht schlecht.

Von Björn Finke und Christian Zaschke, London

Die neueste Affäre um seine Partei dürfte Nigel Farage besonders verdrießen. Erst in der vergangenen Woche hatte der Chef der UK Independence Party angekündigt, man werde einen kritischen Blick aufs eigene, zu Eskapaden neigende Personal werfen und sich von irrlichternden Kandidaten trennen.

Davon gibt es einige in der populistischen Partei, die sich für den Austritt des Vereinten Königreichs aus der Europäischen Union einsetzt und seit Monaten von immer neuen, kuriosen Affären erschüttert wird. Nun hat die BBC herausgefunden, dass der bis Dezember amtierende Parteisprecher für Commonwealth-Fragen früher Boss einer Entführerbande war.

Den Informationen zufolge war Mujeeb ur Rehman Bhutto Kopf einer Gruppe, die 2004 den Sohn eines reichen Geschäftsmanns in Pakistan entführte. Bhutto flog nach der Tat nach Manchester, von wo aus er die Lösegeldverhandlungen führte. Unter anderem drohte er, das Opfer enthaupten zu lassen. Es gelang ihm, 56 000 Pfund zu erpressen, die in England übergeben wurden. Sowohl Bhutto als auch seine Komplizen wurden gefasst. 2005 gestand Bhutto vor einem britischen Gericht, Drahtzieher der Entführung gewesen zu sein. Er wurde zu einer Haftstrafe verurteilt. 2008 erhielt er dennoch politisches Asyl, möglicherweise unter einem leicht veränderten Namen.

Die Reihe der Peinlichkeiten setzt sich fort

2011 trat Bhutto der Ukip bei und wurde schnell zum Vorzeigemitglied. Der Partei wurde und wird vorgeworfen, fremdenfeindlich zu sein, weil sie die Einwanderung deutlich beschränken will. Ein eloquenter muslimischer britischer Staatsbürger mit Migrationshintergrund kam den Parteistrategen wie gerufen.

Bhutto organisierte 2012 einen Moschee-Besuch des Parteichefs Farage und trat häufig in den Medien auf. Nun sagte ein Parteisprecher: "Wir haben kürzlich Kenntnis von möglichen Problemen in seiner Vergangenheit erlangt. Wir haben ihn damit konfrontiert, und er ist aus der Partei ausgetreten." Bhutto sagte der BBC, die Vorwürfe gegen ihn seien in Pakistan fabriziert worden. Er habe in England auf schuldig plädiert, damit er nicht nach Pakistan ausgeliefert werde, wo auf Entführung die Todesstrafe stehe.

Für Farage setzt der Fall die Reihe der Peinlichkeiten fort. Erst vergangenen Monat hatte ein Ukip-Stadtrat erläutert, die Überflutungen in Großbritannien in diesem Winter seien Gottes Strafe für die Einführung der Homo-Ehe. Ein ehemaliger Europa-Abgeordneter der Partei riss auf einer Diskussionsveranstaltung an der Universität Oxford Witze über einen behinderten Studenten. Er war bereits vorher auffällig geworden, als er anmerkte, Frauen, die nicht hinter dem Kühlschrank putzten, seien Schlampen.

Ein noch amtierender Europa-Abgeordneter überraschte mit der Wortmeldung, Frauen trügen eine Mitschuld, wenn sie beim Ausgehen mit einem Mann vergewaltigt würden. Ein Kandidat fürs Europaparlament bezeichnete derweil den amerikanischen Präsidenten Barack Obama als "Islam Obama", weil dieser sich nicht ausreichend für die verfolgten Christen in Syrien einsetze. Ein Mitglieder-Forum auf der Internetseite der Partei wurde wegen rassistischer und homosexuellenfeindlicher Kommentare geschlossen.

"Knallchargen, Spinner und verkappte Rassisten"

Die vielen Vorfälle werfen die Frage auf, ob Premier David Cameron nicht doch recht hatte, als er die Ukip-Mitglieder vor einigen Jahren zu deren großem Ärger als "Knallchargen, Spinner und verkappte Rassisten" bezeichnete.

Dennoch wird die Partei jüngsten Umfragen zufolge bei den Europawahlen im Mai mit 26 Prozent der Stimmen zweitstärkste Kraft in Großbritannien hinter der oppositionellen Labour-Partei - und noch vor Camerons konservativen Tories. Für den Premier sind das beunruhigende Perspektiven, denn zwölf Monate später muss er sich der britischen Unterhauswahl stellen. Würde Farages Partei viele Stimmen im konservativen Lager abfischen, wäre ein Erfolg der Tories unwahrscheinlich.

Allerdings konnte die 1993 von Farage mitgegründete Ukip ihre Erfolge bei EU-Wahlen auf nationaler Ebene bisher nicht wiederholen. 2010 erreichte sie bei den Parlamentswahlen drei Prozent und blieb ohne Mandat nach einem 16-Prozent-Ergebnis bei den Europawahlen ein Jahr zuvor. Die Ukip gilt als muntere Protestpartei, der die Wähler in wichtigen Abstimmungen die Stimme lieber doch verweigern.

Personal soll genau unter die Lupe genommen werden

Farage will das ändern, weshalb er ankündigte, die Partei solle seriöser werden. Der 49-Jährige möchte der Ukip ein neues Programm verpassen; das alte von 2010 bestehe aus 486 Seiten "Gefasel" und enthalte viel Unsinn. Unter anderem wird eine Uniformpflicht für Taxifahrer gefordert.

Wichtiger noch, als das Programm neu zu schreiben, ist das jüngste Vorhaben der Partei, mögliche Kandidaten für die Wahlen 2015 genau unter die Lupe zu nehmen. In der Vergangenheit habe es beim Personal "Enttäuschungen" gegeben, formulierte Farage vorsichtig, um seinen eigenen Leuten nicht auf die Füße zu treten, und fügte an: "Es ist ganz natürlich, dass eine neue Partei alle möglichen Leute anzieht." Man habe es in der Vergangenheit nicht immer geschafft, Traumtänzer auszusieben.

Um künftig keine weiteren Überraschungen wie die Enttarnung des mutmaßlichen Entführers und Erpressers Bhutto zu erleben, veranstaltet die Ukip künftig tagesfüllende Auswahlseminare. Die Kandidaten für die Europawahl sind bereits durchleuchtet worden, unter anderem über die Profile bei sozialen Netzwerken. Zudem ließ sie einen eigens angeheuerten Boulevard-Journalisten bei den Politikern anrufen - die Partei wollte auf diese Weise feststellen, wie die Kandidaten auf unangenehme Medienanfragen reagieren.

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