Europäische Union:Sie nennen ihn Mister Hisbollah

Die EU hat einen neuen Geheimdienstchef: den mysteriösen BND-Mann Gerhard Conrad. Ein Foto von ihm gibt es nicht - dafür jede Menge Ruhmesgeschichten.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Die Ausschreibung trug die Nummer 2015/57 und sah auf den ersten Blick ganz gewöhnlich aus. Hingewiesen wurde auf eine neu zu besetzende Stelle im Auswärtigen Dienst der Europäischen Union, Arbeitsort Brüssel. "Die Stelle", so war zu lesen, "ist mit Reisetätigkeit verbunden." Gesucht wurde: ein Geheimdienstchef. Zwar unterhält die Europäische Union keinen Geheimdienst, der mit CIA, BND und MI6 auch nur annähernd vergleichbar wäre, aber im Auswärtigen Dienst der EU erfüllt das "Intelligence and Situation Center" (Intcen) genau diesen Zweck. Für diese EU-Nachrichtenzentrale wurde ein neuer Chef gesucht - und mittlerweile gefunden.

Als neuer Direktor des Intcen tritt Anfang 2016 ein Mann seinen Dienst an, der ganz harmlos als derzeitiger Mitarbeiter der deutschen Botschaft in London vorgestellt wird. Dabei handelt es sich um einen Coup: Der neue oberste Geheimdienstler der EU heißt Gerhard Conrad. Jedenfalls ist er unter diesem Namen bekannt und eigentlich schon so etwas wie eine Legende, auch genannt: Mr. Hisbollah. Den Spitznamen und seinen Ruf erwarb sich der BND-Mann Conrad als Vermittler zwischen Israel und seinen Feinden.

"Wer ihn einmal getroffen hat, wird ihn beim nächsten Mal nicht unbedingt wiedererkennen"

Mehrfach gelang es ihm in geheimen Verhandlungen, den Austausch von Geiseln gegen in israelischen Gefängnissen sitzende Häftlinge zu organisieren. Zeitweise war Conrad sogar im Auftrag des UN-Generalsekretärs unterwegs. 18 Monate lang pendelte er als "Facilitator" (Möglichmacher) zwischen New York, Tel Aviv und Beirut hin und her. Es ging um das Schicksal der beiden von der Hisbollah entführten israelischen Soldaten Ehud Goldwasser und Elad Regev. Im Juli 2008 wurden die sterblichen Überreste der beiden Soldaten übergeben, im Gegenzug ließ Israel fünf libanesische Häftlinge aus seinen Gefängnissen frei. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sprach der Bundesregierung damals seine "aufrichtige Dankbarkeit" aus.

Auch vor der Freilassung des israelischen Soldaten Gilat Schalit, der in Gaza von der Hamas in Geiselhaft gehalten worden war, hatte Conrad eine wichtige Rolle gespielt. Schalit und sein Vater dankten Conrad ausdrücklich in einem an den deutschen Botschafter übergebenen Schreiben dafür. Seine Erfahrung im Nahen Osten, die er auch mehrere Jahre lang als BND-Resident in Damaskus gesammelt haben soll, macht den Deutschen so interessant für die EU. Schließlich wird von Europa erwartet, bei den Syrien-Verhandlungen und im Anti-Terrorkampf einen Beitrag zu leisten. Über eigene Erkenntnisse verfügt Intcen dabei nicht, vielmehr wertet es Informationen aus, welche die Geheimdienste der EU-Staaten teilen. Die Truppe ist klein, Anfang des Jahres war von 70 Leuten die Rede.

Der neue Chef ist zwar prominent, aber alles andere als eine öffentliche Figur. Ein Foto fehlt bislang. In der Süddeutschen Zeitung wurde Conrad 2011 als "etwa Mitte vierzig, schätzungsweise 1,85 bis 1,90 Meter groß" beschrieben. Allerdings wurde gewarnt: "Wer ihn einmal getroffen hat, wird ihn beim nächsten Mal nicht unbedingt wiedererkennen."

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