Europäische Union:Mehr als nur ein Stück Papier

Die Wahl des neuen Präsidenten gerät im EU-Parlament zum Machtkampf. Und stellt alte Loyalitäten infrage.

Von Daniel Brössler und Alexander Mühlauer, Brüssel

Die Frage ist eher rhetorisch. Ob die Unterschriften von "honorigen Persönlichkeiten wie Guy Verhofstadt" nichts mehr gelten, will CSU-Mann Manfred Weber wissen. Der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP) hat zu einer Pressekonferenz ins EU-Parlament geladen, die der bitteren Klage gilt: der Klage über Sozialdemokraten und Liberale, die eine Vereinbarung mit der EVP gebrochen hätten. Das bis dahin unter Verschluss gehaltene Papier hatte Weber in der Nacht per Mail an die Mitglieder seiner Fraktion geschickt. Sie ist Makulatur, soll aber nach Webers Willen nicht vergessen werden.

Datiert vom 24. Juni 2014 und unterschrieben von Weber und Martin Schulz, damals Chef der Sozialdemokraten (S&D) im Parlament, wird in zwei lapidaren Sätzen festgehalten, dass "beide Fraktionen sich gegenseitig bei der Wahl des Präsidenten des Europäischen Parlaments unterstützen". In der ersten Hälfte sollte das Amt an die S&D, also Schulz, in der zweiten an die EVP gehen. Ein Zusatzpapier ist unterzeichnet von Verhofstadt, der Unterstützung zusagte. Weder Verhofstadt noch S&D-Fraktionschef Gianni Pittela fühlen sich daran gebunden. Beide kandidieren am Dienstag gegen den EVP-Kandidaten Antonio Tajani für die Nachfolge von Schulz als Parlamentspräsident. Das Abkommen sei "glasklar" und habe nichts mit der Besetzung anderer EU-Posten zu tun. Die S&D moniert, dass auch Kommission und Rat von der EVP geführt werden.

Ziel sei es gewesen, den starken Anti-EU-Kräften im Parlament Einfluss zu verwehren, sagt Weber. Genau das werde durch den Bruch der Vereinbarung zunichte gemacht. Sozialdemokraten und Liberale seien "schuld, wenn Populisten, Extremisten und Anti-Europäer" nun mitbestimmten. Der CSU-Politiker gibt damit einen Vorwurf zurück, der seinem Kandidaten Tajani gemacht wird - dass er sich notfalls mit Stimmen der ganz Rechten wählen lassen werde. "Wir werden keine Stimmen von Radikalen akzeptieren", beteuert Weber. Die Wahl sei zwar geheim, Absprachen mit EU-Gegnern werde er aber keine dulden. Pittella hingegen wolle sich auch von Kommunisten wählen lassen, Verhofstadt wiederum habe mit dem italienischen Euro-Gegner Beppe Grillo verhandelt und sei nur von seinem eigenen Fraktionsvorstand gestoppt worden. Tajani, ein langjähriger Vertrauter von Italiens Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi, sei hingegen "ein hundertprozentiger Pro-Europäer", sagt Weber.

Manfred Weber on the election of the EP President, Brussels, Belgium - 10 Jan 2017

Manfred Weber, der Fraktionsvorsitzende der EVP, wirft Sozialdemokraten und Liberalen vor, schuld zu sein, wenn Populisten mitbestimmen.

(Foto: Stephanie Lecocq/EPA)

Kritische Fragen? Die meisten Abgeordneten wollten es sich nicht mit dem Neuen verscherzen

Das EU-Parlament ist derzeit Schauplatz gleich mehrerer denkwürdiger Veranstaltungen. Am Montagabend stand Günther Oettinger (CDU) den Abgeordneten Rede und Antwort, um sie von seiner Eignung als EU-Kommissar für Haushalt und Personal zu überzeugen. Bereits seit Jahresbeginn hat der Schwabe diese Posten inne, was die Frage aufwirft, warum Oettinger sich überhaupt noch den Parlamentariern stellen musste, schließlich hat ihm EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker schon die Ressorts übergeben.

Und so fielen die meisten Fragen relativ zahm aus. Von einem "Grillen auf dem heißen Stuhl", wie man es etwa aus dem US-Kongress in Washington kennt, war die zweieinhalbstündige Anhörung weit entfernt. Aus seiner Parteienfamilie bekam Oettinger erwartungsgemäß Detailfragen zum Haushalt gestellt, die er souverän und mit Sachkenntnis beantwortete. Für seine "Schlitzaugen"-Rede entschuldigte sich der Kommissar gleich zu Beginn, sie wurde dann nicht mehr groß thematisiert.

Auch sein Mitflug im Privatjet eines kremlnahen Lobbyisten brachte Oettinger nicht in Erklärungsnot. Die meisten Abgeordneten wollten es sich offenbar nicht mit dem neuen Haushaltskommissar verscherzen, der auch für das Parlament in den Verhandlungen mit den EU-Mitgliedstaaten sehr nützlich sein kann. Am Tag danach veröffentlichte die S&D eine Mitteilung: "Die Sozialdemokraten glauben nicht, dass Kommissar Oettinger Vizepräsident werden oder das Ressort Personalwesen bekommen sollte." Doch diese Entscheidung trifft allein Juncker.

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