Europäische Union:London und Brüssel einig

Großbritannien lenkt bei den meisten Forderungen der EU zum Brexit ein - ungeklärt bleibt jedoch unter anderem was in Irland passieren soll.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

BRITAIN-EU-BREXIT-PARLIAMENT-POLITICS-PROTEST

Besonders strittig waren die künftigen Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien – bei Unterhändlern, aber auch bei Demonstranten in London.

(Foto: Daniel Leal-Olivas/AFP/Getty Images)

Michel Barnier hat eine gewisse Übung darin, den Ernst der Lage in Worte zu fassen. Doch als der EU-Chefunterhändler am Montag mit dem britischen Brexit-Minister David Davis in den Pressesaal der Europäischen Kommission kam, war das gar nicht nötig. Die beiden waren zwar sichtlich müde, aber durchaus entspannt. Nachdem Großbritannien vor fast einem Jahr den EU-Austritt offiziell per Brief in Brüssel eingereicht hatte, konnten Barnier und Davis einen Durchbruch in der ersten Verhandlungsphase verkünden. Beide Seiten einigten sich auf eine Übergangszeit nach dem Austrittsdatum am 29. März 2019. Barnier sprach von einem "entscheidenden Schritt". Und Davis sagte: "Ein guter Deal ist näher als je zuvor."

In der Übergangszeit bis Ende 2020 wird sich Großbritannien weiter an alle EU-Regeln halten müssen, darf aber bei Entscheidungen nicht mehr mitreden. Das Vereinigte Königreich bleibt damit Teil des Binnenmarktes und der Zollunion. Dieser Übergang war vor allem der britischen Regierung wichtig. "Es gibt keine Störung der Handelsbeziehungen", sagte Davis und sandte damit das Signal an alle Unternehmen, die angesichts einer drohenden Unsicherheit Abwanderungsgedanken hatten. Für sie alle ändert sich nach dem offiziellen Brexit-Tag nun erst einmal nichts.

Dasselbe gilt für die Bürger. Man könne nun endlich die 4,5 Millionen Menschen in der EU und Großbritannien beruhigen, die von dem Austritt betroffen sind, sagte Barnier. So sei vereinbart worden, dass Bürger, die erst in der Übergangszeit auf die Insel oder in die Union ziehen, die gleichen Rechte haben werden wie solche, die schon vorher kamen. Damit setzte sich die EU mit ihrer Haltung durch. "Der britischen Regierung waren die Unternehmen am Ende offenbar wichtiger als die Bürger", sagte ein EU-Diplomat. Und so sei London von der Forderung abgerückt, jene Bürger anders zu behandeln, die während der Übergangsphase ins Vereinigten Königreich ziehen. London hatte argumentiert, dass diese schließlich wüssten, dass Großbritannien die EU verlassen werde - anders als diejenigen, die schon vor dem Brexit-Referendum dort lebten. Das Königreich wollte beiden Gruppen nicht dieselben Rechte einräumen. Doch vor allem im Europäischen Parlament, das dem Austrittsvertrag zustimmen muss, galt diese Forderung als unverschämt und nicht akzeptabel.

London akzeptiert, dass es zahlen muss - doch der Betrag ist bisher kaum bezifferbar

Auch in den Finanzfragen erzielten die Unterhändler Einigkeit. Die britische Regierung akzeptiert die Forderungen der EU. Der Betrag, den London zahlen muss, ist allerdings kaum bezifferbar. Er hängt von vielen Variablen ab - am Ende auch davon, wie lange die Übergangszeit dauern wird. Fest steht nur, dass diese "begrenzt" sein soll. Doch in Brüssel erwarten die Brexit-Verhandler, dass es wohl länger als die anvisierten 21 Monate brauchen wird. "Es ist fast unmöglich, bis dahin umfassende Klarheit über die künftige Beziehung zu erreichen", sagte ein EU-Beamter. Die Gespräche über ein Handelsabkommen dürften jedenfalls länger dauern.

Ungelöst ist noch immer die Frage, wie sich nach dem Brexit Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland vermeiden lassen. Auf EU-Seite dringt vor allem die Regierung in Dublin darauf, notfalls festzuschreiben, dass der Norden der Insel sich auch nach dem Brexit an EU-Regeln halten muss, falls keine bessere Lösung gefunden wird. Die britische Premierministerin Theresa May hatte sich dagegen stets gesträubt. In dem Entwurf zum Vertragstext wird der Punkt offen gelassen. Auch Minister Davis blieb im Ungefähren. Ihm schwebe eine künftige Partnerschaft zwischen der EU und dem Königreich vor, die so eng sei, dass es keiner anderen Lösung bedürfe.

Die Staats- und Regierungschef der EU müssen dem Kompromiss bei ihrem Gipfel am Freitag noch zustimmen. An diesem Dienstag beugen sich zunächst die Europaminister über den Text. Es wird erwartet, dass der Europäische Rat die Leitlinien für die nächste Verhandlungsphase ohne große Änderungen verabschieden dürfte. Diese Phase werde noch schwieriger, da es vor allem um einen künftigen Handelsvertrag geht - und die EU-Staaten je nach Art der Wirtschaftsbeziehung mit Großbritannien unterschiedliche Interessen verfolgen.

Dem Entwurf der Leitlinien zufolge soll es ein Handelsabkommen geben, das freien Güterverkehr ohne Zölle garantiert. Auch die Fischerei-Rechte sollen unangetastet bleiben. Umstritten ist vor allem der Absatz, in dem es um Dienstleistungen geht. Im Königreich ist man der Meinung, dass dieser auch Finanzdienstleistungen umfassen müsse. In Brüssel betonen die Verhandler hingegen, dass es bislang kein Freihandelsabkommen gebe, das diesen Sektor so stark berücksichtigt wie die Briten sich das vorstellen. Andererseits räumen EU-Beamte ein, dass auch der Kontinent weiter auf die Dienste der City of London angewiesen sein werde.

Angesichts der britischen Forderungen steigt auf EU-Seite die Sorge, dass die Regierung in London gar kein klassisches Freihandelsabkommen anstrebt, sondern lieber ein Bündel von Abkommen nach dem Schweizer Modell hätte. Am Ende gilt eben der Spruch, den Barnier und Davis auch am Montag zitierten: "Nichts ist vereinbart, solange nicht alles vereinbart ist."

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