Sozialpolitik:Europa im sozialen Gewand - ein PR-Trick

Open door day of the EU institutions

Die EU will sich nah am Menschen präsentieren - ob das nicht nach hinten losgeht? (Szene vom Tag der offenen Tür in der Europäischen Kommission in Brüssel im vergangenen Jahr)

(Foto: picture alliance / dpa)

Löhne, Bildung, Elternrechte: Brüssel tut so, als gäbe es nun eine soziale Säule in der EU - das wird unvermeidlich weitere Enttäuschung produzieren.

Kommentar von Thomas Kirchner, Brüssel

Für die schwierige bis unmögliche Lage, in der sich die europäischen Politiker inzwischen befinden, bietet der Bereich Soziales ein schönes Beispiel. Damit etwas vorankommt in der Europäischen Union, ist es üblicherweise bisher so gelaufen: Die Kommission präsentierte einen ehrgeizigen Vorschlag, der weit über das Realisierbare hinausging. Dann setzte ein Palaver zwischen Mitgliedsstaaten und Parlament ein, und wenn etwas übrig blieb, dann ließ sich politisch - vielleicht - etwas gestalten.

Bei der sozialen Säule, auf der die EU nach dem Willen der Kommission nun ruhen soll, lief es anders. Der Brüsseler Behörde sitzt die Angst im Nacken. Sie fürchtet, mit allzu weit gehenden Ideen die verbreitete Europa-Verdrossenheit zu befördern.

Brüssel wählt einen denkbar schlechten Weg

Deshalb hat sie sich, obwohl es sich um ein Herzensthema von Präsident Juncker handelt, von vornherein an realistischen, also durchsetzbaren Zielen orientiert. Das ist nicht viel, denn die Interessen unterscheiden sich gravierend. Auf der einen Seite stehen Frankreich und jene Länder im Süden, die im Zuge der Euro-Krise unter die Räder kamen und unter hohen Arbeitslosenquoten und sozialer Verelendung leiden.

Dort hätten manche am liebsten schon morgen eine europäische Arbeitslosenversicherung. Die Osteuropäer hingegen befürchten, dass hohe Sozialstandards den wichtigsten Wettbewerbsvorteil zunichte machen: die günstige Arbeitskraft. Auch Deutschland, wo die Standards schon sehr hoch sind, zählt zum Lager der Bremser.

Sicher, die EU verfügt über wenig eigene Kompetenzen in der Sozialpolitik. Was dringend auf europäischer Ebene geregelt werden sollte, hat sie schon vor Jahren in Angriff genommen, etwa in Form der Entsende-Richtlinie, die Arbeitnehmer vor ausländischer Billigkonkurrenz und einer Lohnspirale nach unten bewahren soll.

Wichtige europäische Standards wurden auch beim Arbeitsschutz oder der Gleichstellung der Geschlechter etabliert. Die Kommission hat sie nun in ein neues Gewand gekleidet, um sie "sichtbarer" zu machen. Das war's im Wesentlichen. Neu sind lediglich Ideen zu einem Ausbau der Elternzeit, über deren Sinnhaftigkeit man streiten kann.

Gut gemeinte PR-Initiative, zufällig zwischen den Wahlgängen in Frankreich

So hat die Kommission einen denkbar schlechten Weg gewählt. Sie suggeriert, dass sich die EU kümmert, dass sie bietet, was viele wünschen: Schutz vor den Zumutungen der Globalisierung, Anpassung an neue Arbeitsverhältnisse. Aber Europa kann das nach Lage der Dinge nicht einlösen, und das wird unvermeidlich weitere Enttäuschung über "Brüssel" produzieren. Das hätte man wissen können.

Vermutlich hat man in der Kommission selbst wenig Freude an den eigenen Vorschlägen, die, nüchtern betrachtet, nicht viel mehr sind als eine gut gemeinte PR-Initiative, zufällig zwischen den beiden Wahlgängen in Frankreich auf den Tisch gelegt.

Und wie wird Europa nun sozialer? Wer gerne mehr Rechte und Schutz für Arbeitnehmer, Frauen, Mütter, Eltern hätte, kann sich bei der nächsten Wahl für die Parteien entscheiden, die das fordern.

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