Europäische Union:EU-Gipfel der Erpressung

Europäische Union: Der britische Premier David Cameron (rechts) im Gespräch mit seinem italienischen Pendant Matteo Renzi (links).

Der britische Premier David Cameron (rechts) im Gespräch mit seinem italienischen Pendant Matteo Renzi (links).

(Foto: AFP)

Das Ringen um Großbritanniens Verbleib in der EU gerät zum Nervenkrieg. Nach David Cameron stellt auch Griechenlands Premier Alexis Tsipras ultimative Forderungen.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Es ging um die Flüchtlingskrise, es ging um Großbritannien - im Grunde aber um noch mehr. Europa ringt um seine Zukunft. Die EU, diese große Kompromiss-Maschine, musste bei diesem Gipfel in Brüssel zeigen, ob sie das mit 28 Mitgliedstaaten noch immer kann: ein Ergebnis finden, mit dem alle leben können. Bundeskanzlerin Angela Merkel brauchte dringend ein Zeichen, dass es in der Flüchtlingskrise noch eine gemeinsame europäische Politik gibt. Und der britische Premier David Cameron musste beweisen, dass er einen "neuen Deal" für Großbritannien erstreiten kann.

Was ist die Europäische Union bereit zu geben, damit das Vereinigte Königreich Mitglied dieser Gemeinschaft bleibt? Bekommt sie die Flüchtlingskrise in den Griff? Es sind Schicksalstage eines Kontinents.

Kein Wunder, dass die Verhandlungen zum Nervenkrieg wurden. Erst strapazierte Cameron die Staats- und Regierungschefs mit seinen Forderungen. Dann überraschte Griechenlands Premier Alexis Tsipras mit einer Erpressung. Er machte seine Zustimmung in Sachen Großbritannien von Zusicherungen in der Flüchtlingskrise abhängig. Athen wolle die "einstimmige Entscheidung", dass bis zum EU-Gipfel im März kein Staat einseitig seine Grenze für Flüchtlinge schließe, wie es in Athener Regierungskreisen hieß. "Wenn nicht, wird die griechische Regierung dem Abschlusstext nicht zustimmen."

Die Suche nach einem Kompromiss gestaltete sich von Anfang an schwierig. Immer wieder geriet der Zeitplan am Freitag in Verzug. Bereits am Donnerstag hatte die Suche nach Gemeinsamkeiten Merkel und ihren europäischen Partnern eine lange Nacht beschert. Bis fünf Uhr morgens wurden die britischen Anliegen verhandelt. Erst am späten Freitagabend war ein Kompromiss-Papier fertig, über das dann aber erst noch weiter beraten wurde.

Cameron sagte: "Ich werde mich nur auf eine Vereinbarung einlassen, wenn wir bekommen, was Großbritannien braucht." In Brüssel wollte er sich mit den anderen Staats- und Regierungschefs auf ein Paket verständigen, das die britischen Wähler überzeugen soll, in einem Referendum für den Verbleib in der EU zu votieren. Die Abstimmung könnte im Juni stattfinden.

Besonders umstritten waren Gesetzesänderungen, die es London erlauben würden, Sozialleistungen für neue Arbeitnehmer aus EU-Staaten eine Zeit lang einzuschränken. Vor allem osteuropäische Staaten stemmten sich gegen Einzelheiten dieses Vorhabens, das besonders ihre Landsleute betreffen würde, von denen viele in Großbritannien arbeiten. Ein weiterer Streitpunkt war Londons Forderung, dass Großbritannien ausdrücklich vom im EU-Vertrag verankerten Ziel der "immer engeren Union der Völker" befreit wird. Mehrere Länder wollten keiner Formulierung zustimmen, die dem Vorhaben einer weiteren Vertiefung der EU zuwiderliefe.

Frankreichs Präsident François Hollande warnte vor zu weitreichenden Sonderrechten für das Vereinigte Königreich als Nicht-Euro-Staat. Für alle Mitgliedstaaten müsse es bei der strikten Finanzmarktregulierung und den Beschränkungen für Spekulationsgeschäfte bleiben, um neue Finanzkrisen zu verhindern, sagte Hollande. London solle kein "Veto- oder Blockaderecht" erhalten. Frankreich befürchtet, neue Freiheiten könnten dem Finanzzentrum London unfaire Wettbewerbsvorteile gegenüber Euro-Ländern verschaffen.

Europäische Union: Reden über Europa: EU-Ratspräsident Donald Tusk, Kommissionschef Jean-Claude Juncker und der britische Premier David Cameron (von links).

Reden über Europa: EU-Ratspräsident Donald Tusk, Kommissionschef Jean-Claude Juncker und der britische Premier David Cameron (von links).

(Foto: Yves Herman/AFP)

In der Flüchtlingskrise setzt die EU weiter auf die Türkei als entscheidenden Verbündeten. "Wir haben bestätigt, dass es keine Alternative gibt zu einer guten, intelligenten und weisen Zusammenarbeit mit der Türkei", sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Inhaltlich kamen die Staats- und Regierungschefs jedoch kaum voran, Anfang März soll auf einem Sondergipfel mit der Türkei Zwischenbilanz gezogen werden. Dieses Treffen soll vor den drei Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt stattfinden. Denn Merkel erhofft sich vorher ein Signal zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen.

Auf dem Brüsseler Gipfel sagte die Kanzlerin: "Ich bin sehr zufrieden mit der Diskussion, weil sie sehr deutlich gemacht hat, was uns eint. Und das ist doch unter den 28 Mitgliedstaaten eine ganze Menge." Die EU wolle ihre Außengrenzen besser schützen, die Flüchtlingszahlen spürbar reduzieren und den Zuzug illegaler Migranten bekämpfen. Dabei habe die EU die Zusammenarbeit mit der Türkei nicht nur bekräftigt, sagte die Kanzlerin, "sie ist unsere Priorität bei der Umsetzung dieser Ziele". Sie sei sicher, dass man "relativ schnell Ergebnisse sehen" werde.

Hinsichtlich der britischen Forderungen erklärte Merkel in der Nacht von Donnerstag auf Freitag: "Es ist sichtbar geworden, dass die Einigung vielen nicht ganz leicht fällt." Aber der Wille sei da. Am Ende liegt die Entscheidung bei den britischen Bürgern: Soll das Vereinigte Königreich Teil dieser EU bleiben?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: