Europäische Union:Polens Manöver gegen Donald Tusk

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  • Polen hat einen Politiker als EU-Ratspräsidenten vorgeschlagen, der noch nie Regierungs- oder Staatschef war: den Europaabgeordneten Jacek Saryusz-Wolski.
  • Das Manöver richtet sich gegen die Wiederwahl von EU-Ratspräsident Donald Tusk und gilt als aussichtlos.
  • Hintergrund ist die Feindschaft zwischen Tusk und dem Chef der nationalkatholischen Partei, Jaroslaw Kaczyński.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Es ist eine Frage, die an diesem Wochenende in Europa in verschiedenen Regierungszentralen gestellt worden sein dürfte: Wer ist der Mann? Polen hat zum EU-Gipfel Ende der Woche ganz offiziell einen Politiker als EU-Ratspräsidenten vorgeschlagen, der nie Regierungs- oder Staatschef war und über das eigene Land hinaus hauptsächlich EU-Experten ein Begriff ist: den Europaabgeordneten Jacek Saryusz-Wolski. Das Manöver richtet sich gegen die Wiederwahl von EU-Ratspräsident Donald Tusk, es gilt als aussichtslos. "An der Wiederwahl von Donald Tusk besteht kein Zweifel mehr. So sehr ich Saryusz-Wolski als Kollegen geschätzt habe, scheidet er für das Amt des Ratspräsidenten aus", sagte der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU), der Süddeutschen Zeitung. Hinter der Nominierung vermutet er hauptsächlich innenpolitische Motive.

Auch Sozialisten sind bereit, den Liberalkonservativen Tusk wiederzuwählen

Hintergrund ist eine erbitterte Feindschaft zwischen dem liberal-konservativen Ex-Ministerpräsidenten Tusk und dem Chef der nationalkatholischen Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis), Jarosław Kaczyński. Der Pis-Chef glaubt, dass sein Zwillingsbruder und damalige Präsident Lech Opfer einer Verschwörung geworden ist, die zu seinem Tod beim Flugzeugabsturz von Smolensk 2010 geführt hat.

Tusk unterstellt er, in diese Verschwörung verstrickt zu sein, weshalb er ihn gerne nicht an der Spitze des Rates, sondern vor Gericht sehen würde. Aus diesem Grund vor allem stellt sich Polen nun gegen die Wiederwahl Tusks, der sein Amt noch zu Zeiten einer liberal-konservativen Mehrheit in Warschau angetreten hatte. Tusk sei ein Kandidat "Angela Merkels, ein deutscher Kandidat", sagte Kaczyński, der zwar kein Regierungsamt bekleidet, in Warschau aber die Entscheidungen trifft.

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Im Großen und Ganzen ist man mit Tusk zufrieden

Normalerweise wäre die Bestätigung Tusks für eine zweite zweieinhalbjährige Amtszeit eine Formalität. Die Staats- und Regierungschefs sind im Großen und Ganzen zufrieden mit der Amtsführung Tusks. Sie sind auch nicht der Meinung, dass der Pole sich irgendwelcher Illoyalitäten gegenüber der Regierung in Warschau schuldig gemacht hätte.

In der Auseinandersetzung zwischen der EU-Kommission und der Regierung von Ministerpräsidentin Beata Szydło um Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit in Polen hielt Tusk sich zurück. Vor allem aber haben die Chefs wenig Lust, jetzt schon einen Nachfolger von Tusk zu suchen - und darüber streiten zu müssen, ob nun ein Sozialist oder Christdemokrat an die Spitze des Rates treten soll. Kaczyński kann die Wiederwahl des Landsmannes nicht verhindern, denn zur Wahl des Ratspräsidenten genügt die qualifizierte Mehrheit. Seltsam wäre es zwar schon für die Staats- und Regierungschefs, einen Polen gegen den Willen Polens wiederzuwählen, aber dazu scheinen sie bereit zu sein.

Er selbst habe Tusks Wahl vor zweieinhalb Jahren unterstützt, betonte Frankreichs sozialistischer Präsident François Hollande im Gespräch mit der SZ und weiteren Zeitungen. An Tusk halte er fest, auch wenn nun vielleicht ein Sozialist an der Reihe wäre. Es gehe ihm dabei nicht um parteipolitischen oder nationalen Proporz, sondern um eine "europäischere Sichtweise". Ob Tusk gegen den Willen seines Heimatlandes für weitere zweieinhalb Jahre bestätigt werden könne, sei eine "politische Diskussion", die der Rat führen müsse. Er aber werde sich nicht daran beteiligen, Tusk aus dem Amt zu treiben.

Saryusz-Wolski genießt in Polen Ansehen

Sicher ist, dass der EU-Abgeordnete Saryusz-Wolski in den Diskussionen beim Gipfel keinerlei Rolle spielen wird. Erstens ist es ausgeschlossen, dass die Staats- und Regierungschefs einen Politiker für sich sprechen lassen könnten, der nicht selbst Präsident oder Ministerpräsident war. Zweitens würde mit ziemlicher Sicherheit kein Pole zum Nachfolger Tusks gewählt.

Saryusz-Wolski genießt in Polen als erfahrener Europapolitiker Ansehen. Für wechselnde Regierungen war er maßgeblich an den Verhandlungen zum EU-Beitritt beteiligt. Er kommt aus der oppositionellen Bürgerplattform (PO), der Tusk lange Jahre vorgestanden hatte, wendet sich aber dagegen, die Pis-Regierung international anzuprangern. "Ich akzeptiere es nicht, das eigene Land zu denunzieren und Sanktionen gegen das eigene Land zu befürworten", twitterte er am Samstag. Die PO reagierte schnell und warf Saryusz-Wolski aus der Partei. Als Nächstes muss er die EVP-Fraktion verlassen.

Auch Tusk meldete sich per Twitter: "Teamerfolge freuen am meisten. Bravo Polen", schrieb er. Gemünzt war das auf die Ski-WM in Lahti. Aber vermutlich nicht nur.

© SZ vom 06.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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