Europäische Union:Die feinen Unterschiede

Gänge, Schritte, Tempi: In Brüssel feilen Diplomaten an der Erklärung zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge. Es kommt auf jedes Wort an, denn so manche Formulierung empfinden vor allem die Osteuropäer als verklausulierte Drohung.

Von Alexander Mühlauer

Diplomatie ist die Kunst, den richtigen Ton zu treffen, wenn es um unbequeme Wahrheiten geht. Nicht jeder Politiker beherrscht diese Sprache, das muss er auch nicht; dafür gibt es ja Diplomaten. In Brüssel feilen sie zurzeit mit ihren Beamten an einer Erklärung, die am 25. März in der italienischen Hauptstadt verabschiedet werden soll. Zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge wollen die Staats- und Regierungschef der EU - also alle bis auf die Brexit-Premierministerin - eines demonstrieren: die Einheit der Gemeinschaft. Doch wie lässt sich das in Worte fassen, wenn doch offensichtlich ist, wie uneins diese Europäische Union in Wahrheit ist?

"Multi-speed Europe"? Für die Osteuropäer klingt das eher wie eine Drohung

Die Bundeskanzlerin hat sich dafür eine Formel überlegt, die sie seit geraumer Zeit immer wieder erwähnt. Angela Merkel spricht von einem "Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten". Sie meint damit, dass einige EU-Staaten auch dann mit der Integration voranschreiten sollten, wenn nicht alle mitmachen wollen. Doch ein "Multi-speed Europe", um in der Arbeitssprache der EU zu bleiben, empfinden besonders osteuropäische Staaten als verklausulierte Drohung an all jene, die etwa keine Flüchtlinge aufnehmen wollen - also sie selbst.

Doch wie es aussieht, hat sich Deutschland durchgesetzt. Im Entwurf der Rom-Erklärung, über den die Beamten und Diplomaten am Montag beraten wollen, taucht plötzlich Merkels Formel auf. Allerdings mit einer diplomatischen Finesse, die einem erst mal einfallen muss. Nun ist nicht mehr von "multi speed" die Rede, sondern von "different paces". Der von manchen als Kampfansage empfundene Begriff mutierte zu einem nicht weniger heiklen Ausdruck, der zwar dasselbe bedeutet, aber eben anders heißt. Man darf schon jetzt auf die Übersetzung gespannt sein. In der deutschen Fassung könnte von verschiedenen "Schritten" statt "Geschwindigkeiten" zu lesen sein. Oder von "Gängen". Wer weiß, vielleicht könnten die EU-Staaten sogar ein verschiedenes "Tempo" einschlagen?

Wie auch immer, der ganze Satz lautet jedenfalls: "Wir werden gemeinsam handeln, wann immer es möglich ist, in verschiedenen Geschwindigkeiten und verschiedener Intensität, wo es nötig ist, so wie wir es in der Vergangenheit im Rahmen der Verträge getan haben und die Türen offen lassen für diejenigen, die sich später anschließen wollen." Um den erwartbaren Protest der Anti-multi-speed-Fraktion abzufedern, folgt sogleich ein Satz, der alle beruhigen soll: "Unsere Union ist ungeteilt und unteilbar." Was der Brexit natürlich noch beweisen muss. Ansonsten skizziert die "Rom Agenda" für die kommenden zehn Jahre ein sicheres, wohlhabendes und soziales Europa, das weltweit eine stärkere Rolle spielen soll.

Schon wahr, es ist nicht leicht, den richtigen Ton zu treffen. Und so ist das Ringen um die Rom-Erklärung ein geradezu absurd anmutendes Ringen um Worte. Wie gut, dass es da jene wandelnden Synonymwörterbücher gibt, die man Diplomaten nennt.

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