Europäische Union:Die EU-Kommission kann Polen nur schwer gefährlich werden

Europäische Union: Bis hier hin und nicht weiter: Frans Timmermans will den Verfall des polnischen Rechtsstaates stoppen.

Bis hier hin und nicht weiter: Frans Timmermans will den Verfall des polnischen Rechtsstaates stoppen.

(Foto: Thierry Charlier/AFP)
  • Die EU-Kommission droht, im Streit mit Polen über dessen Justizreform dem Land sein Stimmrecht in der EU zu entziehen.
  • Dafür wäre eine Vierfünftelmehrheit der EU-Mitgliedsstaaten notwendig.
  • Ungarn hat angekündigt, einen solchen Schritt verhindern zu wollen.

Von Thomas Kirchner

Frans Timmermans liebt solche Auftritte. Dem Vizepräsidenten der EU-Kommission stehen beträchtliche mimische und sprachliche Mittel zur Verfügung, die er am Mittwoch vor den Journalisten in Brüssel nach Kräften einsetzt, um der polnischen Regierung seine Botschaft zu übermitteln. Diese lautet: Es reicht. Oder: Das war zu viel. Und: Wir wissen genau, was läuft, und werden reagieren.

Timmermans hatte seine Kommissarskollegen bei der wöchentlichen Sitzung über den Stand der Dinge in Sachen Polen unterrichtet und Optionen zum weiteren Vorgehen auf den Tisch gelegt. Entschieden werden soll darüber erst kommende Woche, nach weiterer rechtlicher Klärung und im Lichte der Entwicklungen in Warschau. Das Ergebnis, darauf legte der Kommissar wert, sei aber schon absehbar. Man werde, da habe er "fast keinen Zweifel", wegen der jüngsten Pläne zur Reform der polnischen Justiz ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten, unter Berufung auf Verstöße gegen EU-Recht. Am Ende dieses Verfahrens steht theoretisch eine Geldstrafe, die der Europäische Gerichtshof aussprechen könnte.

Am Ende des Verfahrens droht Polen eine Geldstrafe - theoretisch jedenfalls

Daneben wird das "Rechtsstaatsverfahren" fortgeführt, das die Kommission 2016 gegen Polen eingeleitet hatte, damals wegen der umstrittenen Reform des Verfassungsgerichts. Es ist die durch den Lissabonner Vertrag eingeführte Vorstufe zum speziellen Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags und sieht allerlei Dialoge und Konsultationen vor, damit die schärfste Waffe der EU gegen einen renitenten Mitgliedstaat, die bis zur Kaltstellung durch Entzug der Stimmrechte reichen kann, nicht sofort gezückt werden muss. Doch auch diese Option behält sich die Kommission vor. Man sei "sehr nahe daran", das Verfahren nach Artikel 7 einzuleiten. Diplomaten erwarten aber, dass die Kommission damit noch wartet und zuvor klärt, ob die nötige Vierfünftelmehrheit im Kreis der Mitgliedstaaten auch steht.

Basis der kommissionsinternen Diskussion bildet eine zehnseitige Analyse. Sie beschreibt klar, was auf dem Spiel steht, wenn Zweifel auftauchen, ob sich ein EU-Staat noch an die Regeln halten mag. Sie erklärt zunächst das Konzept des Rechtsstaats, in dem auch die Macht ans Recht gebunden ist, und sieht darin "eine der Grundlagen aller Verfassungssysteme aller EU-Staaten". Das zu akzeptieren sei nicht nur Voraussetzung für die Mitgliedschaft. Auch ein gemeinsamer Markt könne nicht funktionieren, wenn der Verdacht bestehe, dass angeblich unabhängige Richter, wie Timmermans sagte, "Instruktionen vom Justizministerium" erhalten.

Bei aller Deutlichkeit der Kommission schwebt ein Hauch von Vergeblichkeit über Brüssel. Die Behörde kämpft letztlich allein gegen Warschau. Deutschland, der mächtigste Mitgliedstaat, mag ihr hinter und vor den Kulissen den Rücken stärken. Aber es kann aus historisch-politischen Gründen nicht so scharf auftreten gegenüber dem Nachbarn, wie es das vielleicht gerne täte. Und jeder weiß, dass der Kommission das ultimative Mittel fehlt, einen Staat zu zwingen, der es darauf anlegt. Das Verfahren nach Artikel 7 gilt nicht umsonst als "nukleare Option". Dabei schwingt mit, dass zwar mit ihr gedroht, sie aber besser nicht gezogen werden sollte. Ohnehin hat Ungarn die Kommission in Brüssel schon wissen lassen, dass es jeden Versuch verhindern werde, Polen das Stimmrecht zu entziehen.

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