Europa:Zur eigenen Sicherheit

Brüssel rätselt, wie sich Donald Trump das transatlantische Verhältnis vorstellt. Auf allzu viel Unsicherheit will sich die EU-Kommission dauerhaft nicht einlassen, sie unternimmt nun deshalb einen neuen Anlauf zu einer EU-Verteidigungsunion.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Es klang wie ein verzweifelter Wunsch. In ihrem Brief, adressiert an "The Honorable Donald J. Trump", appellierten EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nach der US-Wahl an die "breite und tiefe strategische Partnerschaft" zwischen der EU und den Vereinigten Staaten. "Wir sollten keine Mühen scheuen, um sicherzustellen, dass unsere Bindung stark und langlebig bleibt", schrieben die beiden. Sie nannten den Kampf gegen den Terror, die gemeinsamen Anstrengungen in Sachen Klimaschutz und ja, auch das: die Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. Wie gesagt, das war am Tag von Trumps Wahltriumph. 24 Stunden später scheint nach dem ersten Schock so etwas wie Realismus in Brüssel einzukehren.

Juncker sagte jedenfalls am Donnerstag, dass er nicht mehr an einen raschen Abschluss von TTIP glaube: "Ich sehe das nicht als etwas, das in den nächsten zwei Jahren passieren würde." Und dies ist noch eines der Projekte, dessen Aus am erwartbarsten ist. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob es jenseits von TTIP überhaupt so etwas wie einen transatlantischen Konsens gibt. Am Tag nach Trumps Wahl ins Weiße Haus gibt sich Brüssel noch immer überrascht, ratlos und verunsichert. Niemand weiß, was Trump vorhat. Niemand weiß, was Europa nun erwartet.

Juncker dringt deshalb auf eine engere Zusammenarbeit der EU in der Verteidigungspolitik. "Die Amerikaner, denen wir viel verdanken, werden nicht auf Dauer für die Sicherheit der Europäer sorgen", sagte Juncker am Mittwochabend in einer Rede in Berlin. "Das müssen wir schon selbst tun." Deshalb brauche es einen neuen Anlauf zu einer Verteidigungsunion - "bis hin zu dem Ziel der Einrichtung einer europäischen Armee". Der Kommissionspräsident forderte einmal mehr eine engere Zusammenarbeit der EU-Streitkräfte als Ergänzung der Kooperation in der Nato. Deren Existenzberechtigung hatte Trump im Wahlkampf infrage gestellt.

Am Montag geht es bei einem gemeinsamen Treffen der EU-Außen- und Verteidigungsminister um eine Vertiefung der Sicherheitspolitik. Bereits am Vorabend kommen die Außenminister der EU-Staaten zu einem Sondertreffen in Brüssel zusammen. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie sich Europa gegenüber Trump positionieren soll. "Das Problem ist nur, dass wir nicht wissen, wie Trumps Bündnispolitik aussieht", sagt ein EU-Diplomat ziemlich ratlos. "Wir wissen nicht, was ihm überhaupt für eine Beziehung vorschwebt."

Was bleibt, sind Aufforderungen Richtung Washington, deren Wirkung äußerst ungewiss ist. "Wir möchten wissen, wie es mit der globalen Handelspolitik weitergeht", sagte Juncker am Donnerstag. "Wir möchten wissen, welche bündnispolitischen Absichten Herr Trump hat. Wir müssen wissen, welche klimapolitischen Absichten er hat." Der Kommissionspräsident warnte allerdings vor einem Bruch mit den Vereinigten Staaten. "Wir wollen mit den Amerikanern zusammenarbeiten, wir müssen zusammenarbeiten - aber wir müssen dies auf gleicher Augenhöhe tun." Bislang ist auch das nicht viel mehr als ein Wunsch.

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