Europa und seine Politiker:Die Stunde der Populisten

Ein Populist ist nicht mehr einer, der dem Volk aufs Maul schaut, sondern ihm nach dem Munde redet. Von diesem Schlag gibt es in Europa immer mehr Politiker.

Klaus Brill

Eigentlich war der Populismus einmal eine literarische Strömung, begründet in Frankreich und Russland mit dem Ziel, das einfache Volk ohne Verkitschung und Verzerrung darzustellen. In den USA galt der Begriff für eine Bauernbewegung gegen das New Yorker Großkapital.

Silvio Berlusconi

Italienischer Populist: Silvio Berlusconi.

(Foto: Foto: ap)

Wer heute im politischen Meinungskampf den Gegner einen Populisten heißt, der meint etwas anderes: jemanden, der sich anbiedert, der dem "gesunden Volksempfinden" vorauseilt in der Hoffnung auf Beifall und Stimmen. Frei nach Luther: Ein Populist ist nicht mehr einer, der dem Volk aufs Maul schaut, sondern ihm nach dem Munde redet.

Ein Getriebener seines Geltungsdrangs

Im Erfolgsfall handelt er, ohne sich übergreifenden Zielen und Programmen verpflichtet zu fühlen. Ein Populist ist kein Staatsmann, sondern ein Getriebener seines Geltungsdrangs, der unentwegt Emotionen entzündet. So kann er für eine Weile zum charismatischen Führer werden.

Politiker dieses Schlages sind derzeit in etlichen Ländern Mittel- und Osteuro-pas besonders erfolg- und einflussreich. Das Gepolter in der polnischen Regierungskoalition, die gerade im Theaterdonner auseinanderfliegt, ist nur ein Beispiel für die Qualen, die populistische Exaltationen bereiten können. Die Kompetenzkriege des Präsidenten in Rumänien, die Ausfälle mehrerer Politiker in Tschechien gegen Roma und so mancher schrille Ton aus der Regierungs-koalition der Slowakei gehören ebenfalls in diese Kategorie.

Überspanntheit, maßlose Feindseligkeit, Unberechenbarkeit und politische Lähmung sind oft die Begleiterscheinungen. Sie bringen die Demokratie in Misskredit und stellen die Partner auf eine harte Probe, auch in der EU.

Kühne Erklärungen und Rundumschläge

Aufmerksamkeit wissen sich Populisten durch kühne Erklärungen und Rundumschläge gegen eine vermutete Welt von Feinden mühelos zu verschaffen. Nur fragt sich: Warum leisten sich die Völker solche "extremen" Politiker, die nach einem Wort des tschechischen Psychologen Slavomir Hubalek vor allem durch ein hohes Maß an Narzissmus und Egozentrik hervorstechen, beispielsweise auch der tschechische Staatschef Vaclav Klaus.

Warum ist in so vielen Nationen, die außer der früheren Zugehörigkeit zum Sowjet-Block nicht übermäßig viel gemeinsam haben, gleichermaßen der Wunsch nach starken Männern und einfachen Lösungen derart verbreitet?

Es muss wohl mit dem Kommunismus und dem aufgezwungenen Mangel an demokratischer Erfahrung zu tun haben. Wer nicht in der Familie, der Jugendgruppe und der Schule durch freie, sachliche Diskussion und Mitbeteiligung die Demokratie als eine taugliche Verkehrsform unter Menschen mit immer verschiedener Meinung kennengelernt hat, der kann sie später schwerlich im öffentlichen Leben anwenden. Nicht die Verantwortlichkeit für eine pluralistische Gemeinschaft scheint folglich viele Akteure zu leiten, sondern die Angst vor dem Zukurzkommen.

Auf Seiten der Gesellschaft tritt spiegelbildlich ein ähnliches Defizit zutage. Noch immer steckt der Aufbau der oft benannten Zivilgesellschaft in den Anfängen. Die Bildung von Vereinen, Verbänden oder Bürgerinitiativen, die sich um einzelne Probleme kümmern und auf ihrem Feld dann den Herrschenden aller Ebenen auf die Finger schauen, ist ein Bürgerrecht, von dem noch nicht genügend Gebrauch gemacht wird.

Der Einzelne fühlt sich ohnmächtig

So steht zumeist den Politikern, die sich der Macht bedienen, ein Volk von lauter Einzelnen gegenüber, das sich logischerweise ohnmächtig fühlt. Die Enttäuschung über das Ausbleiben der Segnungen der Demokratie ist unermesslich.

Die Demokratie jedoch kommt nicht als Geschenk daher, sie ist auch nie für alle Zeit gefestigt, sondern immer wieder in den Niederungen der Normalität zu erkämpfen. Dies gilt unabhängig von Regionen und Entwicklungsstufen, wie das populistische Regime des Silvio Berlusconi in Italien gelehrt hat.

Im Kosmos des untergegangenen Kommunismus kommt erschwerend hinzu, dass die Bürger im Ozean des Möglichen mit politischen Ordnungsbegriffen wie liberal, konservativ, christ- und sozialdemokratisch oder grün nicht allzu viel Konkretes verbinden können. Politiker wissen oft selber nicht genau, wo die Unterschiede liegen.

Meinungsumfragen spielen eine tragende Rolle

Bei den Wählern führt dies zwangsläufig zu politischer Abstinenz oder einer Hinwendung zu Führer-Persönlichkeiten, die wie Kometen über den Horizont fliegen. So konnte in Bulgarien 2001 Simeon von Sachsen-Coburg-Gotha als königlicher Heimkehrer in wenigen Monaten zum Ministerpräsidenten aufsteigen. Heute dümpelt seine liberale Partei kurz über dem Nullpunkt, dafür ist der vormalige Leibwächter und Polizeigeneral Boris Borissow zum neuen Liebling der Massen aufgestiegen. Er wurde zum Oberbürgermeister von Sofia gewählt und könnte der nächste Premier sein.

Stets spielen Meinungsumfragen im Schauhaus des Populismus eine tragende Rolle. Sie drohen auch im Westen Beliebtheit in Beliebigkeit zu verwandeln. Die Eskapaden des Monsieur Sarkozy oder das Plädoyer von Horst Köhler für die Direktwahl des deutschen Bundespräsidenten durch das Volk sind weitere Belege dafür, dass zumindest populistische Anwandlungen nicht auf Mittel- und Osteuropa beschränkt sind.

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