Französische Vorschläge zur EU:Erst die Menschen überzeugen, dann reformieren

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Klingt bisweilen nostalgisch: Frankreichs Wirtschaftsminister Emmanuel Macron.

(Foto: AFP)

Paris fordert, die EU zu einer Transferunion zu machen. Ist das die Lösung aller Probleme? Wahrscheinlich ist es genau der falsche Weg.

Kommentar von Daniel Brössler, Brüssel

Zwei Wege in den Untergang werden der Europäischen Union derzeit prophezeit, sie weisen interessanterweise in exakt entgegengesetzte Richtungen. Der erste Weg ist demnach die Vertiefung. Sie führt Europa nach Darstellung der einen in ein tiefes Loch, weil es sich immer weiter von den Bürgern entfremdet und weil ihm der gesellschaftliche Kitt des Nationalen, mithin die Legitimität, fehlt.

Der zweite Weg soll die Erstarrung sein. Sie führt Europa nach Auffassung der anderen in ein tiefes Loch, weil die Bürger nicht mehr wissen, welchen Sinn die Union eigentlich hat - weshalb sie sich immer weiter von ihr entfremden, wodurch die EU ebenfalls ihre Legitimität verliert.

Die EU wieder mit Sinn füllen

Die miese Stimmung auf dem Kontinent schien zuletzt eher den Vertiefungsgegnern in die Karten zu spielen. Dagegen hat der französische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron einen verwegenen Angriff gestartet. Er spricht gar nicht mehr von Vertiefung, sondern gleich von einer ganz neuen EU.

Es ist schwer auszumachen, wo genau in Macrons Initiative die Grenzen zwischen Mut und Übermut verlaufen. Der junge Franzose fordert, die EU wieder mit Sinn zu füllen, will das speziell den Deutschen schmackhaft machen und führt dafür - ausgerechnet - das Schlagwort von der Transferunion im Mund.

Macron ist gewiss bekannt, wie außerordentlich brisant dieser Begriff in der deutschen Debatte ist. Wenn er ihn trotzdem nicht vermeidet, spricht das, positiv gewendet, zumindest für die Lust auf eine offene Diskussion, wie Europa sie sich in Jahren des quälenden Krisenmanagements eigentlich abgewöhnt hat. Zwischen Notkompromissen und Schuldzuweisungen blieb ja wenig Raum für echte Debatten.

Ausgerechnet eine Transferunion?

Weniger positiv betrachtet, zeugt Macrons Plädoyer für die Transferunion womöglich davon, dass er die Toxizität des Begriffs in Deutschland, aber auch anderen nördlichen EU-Staaten doch noch unterschätzt. Eine Währungsunion ohne Finanzausgleich könne es nicht geben, sagt Macron. Derart nonchalant dargeboten, werden dies viele Menschen auf der Zahlerseite nicht als Wahrheit akzeptieren. So einfach lässt sich die EU eben nicht neu gründen. Die Menschen bleiben dieselben, und sie sind es, die überzeugt werden müssten.

So richtig die Idee starker Euro-Institutionen sein mag, die auf verantwortliches Haushalten einerseits und Solidarität andererseits bestehen können, so mächtig und begründet sind auch die in der Krise eher noch stärker gewordenen Vorbehalte. Macron argumentiert, sowohl Deutsche als auch Franzosen müssten über ihren Schatten springen.

Macron klingt irgendwie nostalgisch

Für die Deutschen heißt das, dass sie mit "Tabus" brechen, sich also mit einem europäischen Finanzausgleich anfreunden sollen. Die Franzosen sollen im Gegenzug "mit alten Gewohnheiten brechen" und Reformen anpacken. Obwohl Macron ein junger Mann ist, klingt das irgendwie nostalgisch - ganz so, als ließe sich Europa per deutsch-französischem Handschlag aus der Krise führen.

Macron glaubt, die Menschen ließen sich für den Wurf gewinnen, wenn er nur groß und ambitioniert genug ist. Nur so seien sie von der EU und ihrem Sinn wieder zu überzeugen. Wahrscheinlich aber ist es genau umgekehrt: Nur wenn es gelingt, die Menschen im Hier und Heute vom Zweck der Europäischen Union zu überzeugen, kann eine Debatte über die Zukunft der Union überhaupt Früchte tragen.

Dazu würde gehören, dass Haushaltsverstöße eines großen Landes (zum Beispiel Frankreichs) so geahndet werden wie die eines kleinen. Und: Eine EU, in der nationale Egoismen nicht überwunden werden können, um gemeinsam die Flüchtlingskrise zu meistern, muss das Gespräch über einen Finanzausgleich gar nicht erst beginnen.

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