Europa:Schäubles Magnettheorie

Bei einem Gastauftritt in den USA erklärt der Finanzminister, wie er den Euro retten will. Innovativ ist das nur auf den ersten Blick.

Von Cerstin Gammelin, Washington

Die Begrüßung ist amerikanisch, nur ohne Cheerleader. Jeff Lipsky, Direktor der Johns-Hopkins-Universität, präsentiert: den Minister der größten Volkswirtschaft Europas. Den einflussreichen Führer der Euro-Gruppe. Den Mann, der bestimmt, in welche Richtung sich Europa entwickelt. Wolfgang Schäuble reckt sich ein bisschen höher. Er wird jetzt im Trump-Land, einen Kilometer vom Weißen Haus entfernt, über Europas Zukunft reden. Und so viel schon vorweg: wer hofft, dass er anreden wird gegen den US-Präsidenten, der ja prophezeit, dass die Europäische Union in absehbarer Zeit zerfallen könnte, der irrt. Im Gegenteil. Schäuble gibt ihm recht.

Zugleich entwirft er ein Rettungsprogramm, das es in sich hat. Schäuble sagt, er wolle weg von europäischen Institutionen, denen er immer weniger traut. Er wolle Koalitionen der Willigen bilden, die an EU-Kommission und Parlament vorbei arbeiten. Jeder könne mit jedem arbeiten, müsse es aber nicht. Das klingt vorwärts gewandt. Ist es aber nicht. Was Schäuble auspackt, ist ein verstaubter Plan aus dem Jahre 1994. Da führte er in der CDU eine Koalition der Willigen an, die Europa so bauen wollte: Deutschland, Frankreich und ein paar Staaten sollten ein Kerneuropa bilden, das wie ein Magnet andere anzieht. Das Europa, das Schäuble vorschwebte, war überschaubar. Es wurde größer, weil der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl kein Land zurücklassen wollte. Schäubles Kerneuropa entstand dennoch, als Währungsgemeinschaft. Ein Trostpreis, wenn man so will, der aber mittlerweile ziemlich kostspielig ist. Heute ist sie der Rest, den Schäuble retten will.

Finanzminister Schäuble in Washington

Für die einen ein Diktator, für die anderen der Retter Europas: Auch bei seinem Gastauftritt an der Johns-Hopkins-Universität in Washington polarisiert Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.

(Foto: Thomas Koehler/dpa)

Das wird schwer genug. Nicht überall wird Schäuble als Retter Europas gesehen. Sondern als Deutscher, der aus der Position der stärksten Volkswirtschaft heraus nationale Interessen vor europäische stellt. Schäuble sei der "Diktator Europas", wirft ihm ein Mann aus dem Publikum vor, ein Mitarbeiter der Weltbank. Er poche immer nur darauf, dass die Regeln eingehalten werden, die ihm passen. Als einst Italien wegen des Flüchtlingsansturms um Hilfe bat, habe Berlin sich verweigert mit dem Verweis auf das Abkommen von Dublin. Dann seien die Flüchtlinge nach Deutschland gekommen und plötzlich habe es kein Dublin mehr gegeben. Alle Staaten sollten mithelfen. Schäuble fixiert den Kritiker. "Ich stimme Ihnen nicht zu". Deutschland habe die Werte Europas gerettet. Übrigens wäre "in Deutschland meine Antwort brutaler ausgefallen".

Die Vorwürfe gegen Schäuble sind vielfältig. Er zwinge Staaten zum Sparen, ist in Südeuropa zu hören. Die Franzosen wenden sich nach der deutschen Weigerung, einen Euro-Haushalt einzuführen, verstärkt an die EU-Kommission. Athen wirft ihm vor, mit seinem Beharren, dass sich der Internationale Währungsfonds am Kreditprogramm zu beteiligen habe, den kleinen Aufschwung im Land zu gefährden, durch die andauernde Unsicherheit. Der Jurist wischt die Vorwürfe stets mit Regeltreue beiseite. Er wisse, dass er in einigen Ländern nicht beliebt sei, weil er auf die Einhaltung der Regeln bestehe. Aber jeder Mitgliedstaat habe sich verpflichtet, diese einzuhalten. Vielleicht, sagt er, werde er später berühmt dafür, dass er mit seiner Beharrlichkeit Europa gerettet habe.

Es klingt wie eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet jenes Land, das der aus Baden stammende Minister wirklich mag, sein Lebenswerk zerstören könnte. Am Sonntag wählen die Franzosen einen neuen Staatspräsidenten. Wenn die Kandidaten der extremen Rechten und der extremen Linken in die Stichwahl kommen, dann, da ist sich Schäuble sicher, brennt in Europa die Hütte. Der wichtigste deutsche Partner bekäme einen Präsidenten, der Schluss machen will mit dem Euro. Die Sorge ist so groß, dass er sich zu einer Wahlempfehlung hat hinreißen lassen. Er würde, wäre er Franzose, Macron wählen. Das ist ungewöhnlich. Emmanuel Macron ist nicht der Kandidat der Schwesterpartei der CDU, sondern liberal und ohne konkretes Programm. Für Schäuble zählt, dass Macron sich als verlässlicher Europäer präsentiert. Für den Konservativen François Fillon gilt das nur teilweise. Später nimmt er die Empfehlung zurück, aus Sorge, sie könnte Macron schaden.

Schäubles Glaubwürdigkeit in Europa ist mindestens angekratzt. Das liegt daran, dass er gelegentlich seine Meinung wechselt und gleichzeitig sein ordoliberales Grundverständnis auf Europa übertragen will. Einerseits betont Schäuble stets, Deutschland profitiere so stark wie kein anderes Land vom Euro. Andererseits scheut sich der Minister, den nächsten Schritt zu machen: den Vorteil zu quantifizieren und andere Euro-Staaten profitieren zu lassen. Etwa durch einen Lastenausgleich. Stattdessen nimmt er hin, dass teilweise sehr niedrige deutsche Löhne die Konkurrenzfähigkeit der Nachbarn schwächen, dass der Exportüberschuss steigt. Schäuble reagiert zunehmend genervt. In bitteren Momenten spottet er, das Wirkungsvollste sei es, aus der Währungsunion auszutreten. Öffentlich fordert er das Gegenteil. "Im Übrigen ist der Währungsraum eine Art Kerneuropa, das wir unbedingt verteidigen müssen", schreibt er im März in der Frankfurter Allgemeinen. Ohne funktionierende Euro-Zone werde die Europäische Union kaum überleben. Und ohne Frankreich, da ist Schäuble offen, kann er sich den Euro nicht vorstellen.

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