Europa:Im Schatten des Sonnenkönigs

Europa: Stellt Macron Merkel bald in den Schatten, was die Führung in der EU angeht?

Stellt Macron Merkel bald in den Schatten, was die Führung in der EU angeht?

(Foto: AFP)
  • Nach seiner Rede an der Sorbonne-Universität wird Frankreichs Präsident Macron als neuer Super-Europäer gefeiert.
  • Kanzlerin Merkel, die bislang als Taktgeberin der EU galt, hat nach der Bundestagswahl schwere Koalitionsverhandlungen vor sich.
  • Das schwächt ihre Position innerhalb der Europäischen Union - etwas, das Merkel nicht gewohnt ist.

Von Daniel Brössler, Tallinn, und Nico Fried, Berlin

Nett ist das nicht. Während die estnische Präsidentin Kersti Kaljulaid über die Segnungen der digitalen Gesellschaft doziert, wird in der vierten Reihe pausenlos palavert. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron tuschelt unablässig mit seinem Sitznachbarn, dem italienischen Regierungschef Paolo Gentiloni. In Reihe eins sitzt derweil Angela Merkel und ist ganz Ohr. Die Kanzlerin weiß nicht nur, was sich gegenüber einer Gastgeberin gehört. Sie weiß auch, wie es in der EU ankommt, wenn die Großen demonstrativ ihr Desinteresse an den Kleinen zur Schau tragen. Es ist die Erfahrung nach bald zwölf Jahren als Regierungschefin. Für Macron ist es erst der zweite EU-Gipfel.

Natürlich haben sich in der EU vor Beginn dieses Digital-Gipfels in Tallinn viele gefragt, ob die alte Bekannte aus Berlin noch dieselbe sein wird nach einem historisch miserablen Wahlergebnis und vor - für deutsche Verhältnisse - bemerkenswert schwierigen Koalitionsverhandlungen. Vielleicht sind sie auch gespannt, wie Merkel es verdaut hat, dass Macron seit seiner Rede an der Sorbonne als Super-Europäer gefeiert wird. Auf der Titelseite eines internationalen Nachrichtenmagazins ist Macron im Scheinwerferlicht zu sehen - und Merkel im Schatten. Das ist neu. Es geht jetzt um Merkels Stellung in Europa. Und natürlich um die Wirkung, die das zu Hause entfaltet.

Am Tag nach der Wahl war Merkel in Berlin gefragt worden, was sie ihren EU-Kollegen in Tallinn zur Dauer der Regierungsbildung sagen werde. Die Kanzlerin antwortete lässig, sie werde auf Mark Rutte verweisen - der Ministerpräsident der Niederlande hat vor sechseinhalb Monaten die Parlamentswahl gewonnen, aber bis heute noch keine neue Regierung gebildet. Freilich weiß Merkel, dass die Bedeutung Deutschlands in der EU mit jener der Niederlande nicht wirklich gleichzusetzen ist.

In Tallinn angekommen, fackelt die Kanzlerin denn auch nicht lange. Vor einer deutschen und einer EU-Fahne lobt sie Macron, preist das "hohe Maß an Übereinstimmung zwischen Deutschland und Frankreich" und sagt zu, dass Europa sich "in die Zukunft entwickeln" werde. Bis dahin hatte man sich - ohne es laut zu sagen - in Merkels Umfeld zwar durchaus beeindruckt gezeigt von Macrons Rede, manchen Punkt aber auch schlicht als nicht durchsetzbar qualifiziert. Mit einigen Ideen steht Macron außerdem in Berlin im Verdacht, schlicht mehr finanzielle Unterstützung für Frankreich herausholen zu wollen. Dabei ist es nicht so, als würden Merkel und Macron einander nicht mögen.

Macron und Merkel zusammen an der Hotelbar

In Tallinn werden sie zu später Stunde - zusammen mit Luxemburgs Premier Xavier Bettel - an der Hotelbar gesichtet. Als Vermittler, so ist von Bettel später zu hören, sei er nicht gebraucht worden. "Ich bin sehr zufrieden, dass wir wieder etwas Dynamik haben", sagt Merkel in Tallinn. Auch das gehört zur Umarmungsstrategie. Merkel habe Frankreich "zurück auf der Bühne" begrüßt, vernehmen französische Teilnehmer im offiziellen Gespräch der Kanzlerin mit Macron erfreut. Damit hat die Kanzlerin natürlich nicht gemeint, dass sie selbst von der Bühne abzugehen gedenke. Sehr wohl aber weiß sie, welchen Eindruck auch in Deutschland die Leidenschaft hinterlassen hat, mit der Macron jüngst seine europäischen Ideen vortrug. Und sie weiß, dass das Fehlen solcher inbrünstigen Vorträge in ihrer Heimat ein Vakuum hat entstehen lassen, über dem der Name Merkel schwebt.

Die Europa-Politikerin Merkel hat mangels einer legitimierten Regierung mit gesicherter Parlamentsmehrheit nur begrenzten Bewegungsspielraum - sie schwimmt einstweilen nur mit, nicht vorneweg. Beim Abendessen im Bankettsaal der einstigen Sommerresidenz des Zaren lässt die Kanzlerin erst einmal EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker reden und natürlich auch Macron, ergreift dann aber ziemlich bald das Wort. Sie mahnt häufigere Treffen der Staats- und Regierungschefs an, spricht über Themen, die abgearbeitet werden müssen, und Prioritäten, die identifiziert werden wollen - wozu Ratspräsident Donald Tusk auch gleich den Auftrag erhält. Die Kollegen können aufatmen: Merkel ist ganz die Alte.

In der europäischen Praxis bildet sie damit den Gegenpart zu Macron und seinen Visionen. Wo der Franzose voranpreschen will, predigt sie den "inklusiven Ansatz". Wo bei ihm Feuer lodert, präferiert sie die kleinteilige Fummelei. Wenn es gut läuft, treffen sich die beiden in der Mitte. Nur dann gibt es eine Chance, dass von den großen Plänen für Euro-Zone, Verteidigung und Migration auch etwas verwirklicht wird. Merkels EU-Kollegen geht es daher wie vielen ihrer Bürger: Sie können sich noch nicht recht vorstellen, dass sie einmal weg sein wird. Sollten sie die Kanzlerin für geschwächt halten, lassen sie es Merkel zumindest nicht spüren.

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