Europa:Im Existenzkampf

Die EU arbeitet mit Ländern wie Libyen und Ägypten zusammen, um Zuwanderer abzuhalten. Das muss ihr Gewissen belasten. Doch es gibt keinen anderen Plan, um politisch zu überleben.

Von Daniel Brössler

Kommende Woche reisen die Staats- und Regierungschefs der EU an die südliche Peripherie der Union und zugleich ins Zentrum eines ihrer ungelösten Probleme. Sie treffen sich zu einem Gipfel im kleinen Malta. Die Insel liegt 350 Kilometer vor der Küste Libyens, jenes zerrütteten Staates, der vergangenes Jahr fast 180 000 Afrikanern ein offenes, wenn auch gefährliches Tor nach Europa bot. Der EU-Türkei-Deal scheint zu halten, nun schweift der Blick aufs zentrale Mittelmeer. Dort will sich die Union verstärkt dem widmen, was die EU-Kommission als "Management" der Migrationsströme beschreibt. Weniger verbrämt lautet der Plan: Abschottung. Das ist nicht schön, aber einen anderen gibt es nicht.

Über den Streit um Verteilung und Quoten sind die EU-Staaten längst hinaus. Praktisch alle verbindet der Grundkonsens, dass eine weitere unkontrollierte Masseneinwanderung verhindert werden muss. Die Errichtung der Festung Europa ist beschlossene Sache und Voraussetzung für die Rettung der offenen Grenzen im Inneren. Dies war der wesentliche Antrieb für das Abkommen zwischen der EU und der Türkei. Dass nun weitere folgen, liegt in der Natur der Sache. Wer das verurteilt, muss die Frage beantworten, ob die Europäische Union offene Schleusen auf Dauer überleben kann - wirtschaftlich, aber vor allem auch politisch.

Die EU verschließt sich Migranten, um politisch zu überleben

Die Sache hat allerdings nicht nur einen finanziellen Preis, sondern wird die Europäer auch ein weiteres Stück ihres guten Gewissens kosten. An der libyschen Küste wird Europa nicht nur helfen, Menschen zu retten und Schlepper zu stoppen, sondern auch rabiat die Weiterreise der Verzweifelten verhindern. Es wird sich mit höchst unklaren Machtverhältnissen in Libyen arrangieren und in Nordafrika zweifelhafte Demokratien stützen - etwa in Ägypten, wo die Lage der Menschenrechte nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes besorgniserregend ist.

Europas Maß an Selbstverleugnung wird in Nordafrika allerdings deutlich geringer ausfallen als in den Verhandlungen mit der Türkei. Sie litten von Anfang an unter der von Präsident Recep Tayyip Erdoğan verlangten Vermischung der Flüchtlingskrise mit den Beitrittsverhandlungen. Die EU sah so aus, als lasse sie sich in ihrer Not von Erdoğan erpressen. Und in gewisser Weise war das auch so. Die Türkei, die Millionen Flüchtlinge aufgenommen hatte, wollte Reisende vor Abschluss des Deals nicht aufhalten. Libyen kann es nicht. Die EU muss eine Küstenwache aufbauen, wenn sie die Schlepperboote stoppen will. Und zumindest muss sie helfen dabei, wieder einen Staat zu errichten.

Die Europäer werden es sich zu verkneifen haben, sich bei alledem auch noch als Wohltäter zu gerieren. Sie folgen um der Existenz der EU willen einer knallharten Interessenpolitik. Eine Union, die sich lieber über Werte als Grenzen definieren würde, kann es dabei nicht belassen. Das gute Gewissen wird so schnell nicht zurückkehren. Aber die Schaffung legaler Fluchtwege für Verfolgte wäre ein Anfang.

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