Europa:Das Duo Merkel-Macron wirkt bereits

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Emmanuel Macron, Angela Merkel und Theresa May auf dem EU-Gipfel in Brüssel. (Foto: REUTERS)
  • In Brüssel herrscht ungewohnte Einigkeit: Gemeinsam beschließen die Staats- und Regierungschefs eine Stärkung der europäischen Verteidigungspolitik und eine Verlängerung der Sanktionen gegen Russland.
  • Aber es gibt auch strittige Punkte. Auf Mays Angebot, dass EU-Bürger nach dem Brexit in Großbritannien bleiben dürften, reagieren die EU-Chefs verhalten.
  • Bundesaußenminister Gabriel erklärt, dass allein die Tatsache, dass man dort nicht rausgeschmissen werde, noch kein überragender Durchbruch sei.

Von Daniel Brössler, Thomas Kirchner und Alexander Mühlauer, Brüssel

Gegen Mittag ploppt das Bild auf einmal auf. An der großen Leinwand im Pressesaal des Brüsseler Ratsgebäudes, auf allen Bildschirmen in der Bar und in den Gängen: zwei Stehpulte nebeneinander, vor europäischer, französischer und deutscher Flagge. Es ist der Ort, wo Angela Merkel und Emmanuel Macron dann gegen 15 Uhr vor die Medien treten. Gemeinsam. Es ist die Inszenierung eines Umschwungs und einer neuen alten Liebe: Europa, heißt das, ist der Depressionsphase entwachsen und zieht, wie immer unter deutsch-französischer Führung, einer besseren Zukunft entgegen.

Ja, es ist eine Inszenierung, aber es gibt echte Gründe, warum sich die Wolke aus Depression und schlechter Laune verzogen hat, die in den vergangenen Monaten, ja Jahren über EU-Gipfeln hing. Merkel ist die schiere Freude anzusehen, im Ratssaal eben nicht einer Marine Le Pen gegenüberzusitzen, die die EU zerstören will, sondern einem französischen Präsidenten, der mit Deutschland "Hand in Hand" an der Zukunft der Union arbeiten möchte.

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Von einem "Geist neuer Zuversicht" schwärmt sie, er nennt es den "Geist, der unserer Geschichte entspricht": Nur wenn Deutschland und Frankreich mit einer Stimme sprächen, komme Europa voran. Der Gedanke ist nicht neu, und allzu viel wollen beide nicht versprechen, bloß nichts ankündigen, was nicht gehalten werden kann. Insofern sind sie auch sehr zurückhaltend, was eine mögliche Änderung der EU-Verträge betrifft: "Weder Selbstzweck noch Tabu" dürfe das sein, lautet die "Merkron"-Formel.

Ein klein wenig scheint der mutmaßlich wieder schnurrende deutsch-französsische Motor schon bewegt zu haben bei dem Treffen. Reibungslos einigt sich die Runde der 28 etwa auf eine Stärkung der gemeinsamen Verteidigungspolitik, begrüßt die Idee, einen Verteidigungsfonds einzurichten und bei der Rüstung stärker gemeinsam voranzugehen. Schnell ist auch vereinbart, die Wirtschaftssanktionen gegen Russland um sechs Monate zu verlängern.

Und dann kommt Theresa May mit ihren " fairen und ernsthaften" Vorschlägen, betreffend die künftigen Rechte der nach dem Brexit in Großbritannien verbleibenden EU-Bürger. Wer bis zu einem noch festzulegenden Stichtag zwischen Austrittserklärung und tatsächlichem Brexit fünf Jahre in Großbritannien gelebt habe, soll einen ordentlichen Aufenthaltsstatus bekommen. Man werde anstreben, sie bei Krankenversicherung, Ausbildung, sozialen Ansprüchen und Renten so zu behandeln wie britische Staatsbürger. EU-Bürger, die bis zum Stichtag im Land waren, können so lange bleiben, bis sie die Fünf-Jahres-Frist erreicht haben. Die EU-Seite reagierte vorsichtig bis enttäuscht. Ein "guter Anfang", meint Merkel. "Unterhalb der Erwartungen", sagt Ratspräsident Donald Tusk.

Die Eintracht der 27, was das britische Ausscheiden betrifft, bleibt jedenfalls bestehen. Was sich auch in den genau vier Minuten äußert, die es dauert, bis man sich auf das Verfahren zur Vergabe der beiden großen EU-Agenturen einigt, die bisher in London ansässig sind.

Nicht alle sind glücklich mit dem deutsch-französischen Führungsduo

Also nur Friede und Freude? So ist es nicht. Am Morgen treffen sich die Regierungschefs von Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei mit Macron. Die Begegnung der Visegrád-Gruppe mit dem Franzosen ist schon länger angesetzt. Macron hatte die östlichen Mitglieder ermahnt, die EU sei kein "Supermarkt", in dem man sich nach Belieben bedienen könne, ohne sich an die Werte zu halten.

"Wir zählen darauf, dass der politische Dialog zwischen Frankreich und den Ländern Mitteleuropas in ordentlicheren Bahnen verläuft, ohne Stereotype, ohne Klischees, ohne Formulierungen, die bisweilen als beleidigend aufgefasst werden können", sagt Polens Europaminister Konrad Szymański nach dem Treffen mit Macron.

Es gebe keinen Wertekonflikt, wohl aber unterschiedliche Interpretationen dieser Werte. Und: "Wir akzeptieren kein Diktat der Interpretation dieser Werte durch andere Mitgliedstaaten oder durch Institutionen der Union."

Auch in der Handelspolitik offenbart sich ein Dissens. Während die Niederlande, Irland und andere als Verfechter des freien Handels auftreten, dringt Macron auf "ein Europa, das beschützt". Die EU sei quasi der einzige Wirtschaftsraum, der sich nicht gegen Bedrohungen von außen wehre. Doch mit seinen weitreichenden Plänen zum Schutz europäischer Firmen - einem Buy-European-Act - kann er sich nicht durchsetzen. Macron will zudem, dass Auslandsinvestitionen in strategisch wichtigen Branchen in Europa überwacht werden. "Das Vorhaben ist politisch heikel", warnt ein EU-Diplomat, "denn wie wollen wir definieren, was eine strategische Bedrohung unserer Industrie ist?"

Und dann ist da noch das Thema, das die Europäer wie kaum ein anderes auseinanderdividiert: die Migration. Eine "lange Diskussion" habe es gegeben, sagt Merkel. Man sei sich einig, Außengrenzen zu schützen und Fluchtursachen beseitigen zu wollen. Bei allem anderen, also vor allem der Umverteilung von Flüchtlingen, stockt es. "Aber", sagt Merkel, "ich werde nicht aufhören, darüber zu sprechen."

© SZ vom 24.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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