Europa:"Besser keine Risiken eingehen"

2016 New year celebration in Paris

Ende eine Jahres, das in Frankreich mit zwei schweren Terroranschlägen in Erinnerung bleiben wird: Pariser feiern am Arc de Triomphe einen Neubeginn.

(Foto: Christophe Petit Tesson/dpa)

Die Feierlaune war vielerorts schon vor dem Jahreswechsel getrübt, einige Großveranstaltungen wurden ganz abgesagt. Wie die Terrorangst das Leben in europäischen Großstädten verändert.

Von Alexander Mühlauer, Cathrin Kahlweit und Christian Wernicke, München/Brüssel/Paris/Wien

Mit Sekt, Küssen und Liedern begrüßten die Menschen in Europa das neue Jahr. Sie wollten sich nicht einschüchtern lassen. Die Angst vor dem Terror war dennoch allgegenwärtig, die Stimmung gedämpfter.

In Paris waren zur Silvesternacht zwar keine neuen, akuten Terrorwarnungen eingegangen. Aber die "Stadt des Lichts" lebt seit den Anschlägen vom 13. November tagtäglich im Schatten des Schreckens. Staatsoberhaupt François Hollande sprach die Gefahr in seiner sehr patriotisch gefärbten Neujahrsbotschaft offen an. "Ich schulde Ihnen die Wahrheit", warnte der Präsident seine Landsleute, "wir haben den Terrorismus noch nicht besiegt, die Bedrohung ist noch immer da, auf höchstem Niveau. Wir vereiteln regelmäßig Attentate." Kurz nach seinem abendlichen Fernsehauftritt besuchte Hollande Polizisten und Sanitäter, die am Rande der Champs-Élysées die nächtlichen Feierlichkeiten absicherten.

Allein entlang dieser Prachtavenue hatten Nationalpolizei und Gendarmerie 1600 bewaffnete Beamte mobilisiert. Im Großraum Paris waren mehr als 11 000 Sicherheitskräfte im Einsatz, darunter 2000 Soldaten und 2300 Feuerwehrleute. Das große Feuerwerk hatte Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin der Hauptstadt, schon vor Wochen abgesagt - aus Sicherheitsgründen, aber auch aus Respekt vor den 130 Todesopfern des 13. Novembers.

Als Ersatz bot Paris kurz vor Mitternacht eine Videoshow, per Laser auf das mächtige Gemäuer des Triumphbogens projiziert. Die Marseillaise erklang, der Arc de Triomphe erstrahlte in Blau, Weiß und Rot. Die geschundene Stadt war sichtlich um Zuversicht bemüht: Zu sehen waren viele anonyme, meist lächelnde Gesichter - und am Ende wenigstens ein virtuelles Feuerwerk als Ersatz. Es waren, trotz klammer Gefühle, wieder Hunderttausende, die das Spektakel bejubelten. Doch es waren deutlich weniger als vor einem Jahr, als (nur sechs Tage vor den Attentaten auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo) 650 000 Menschen noch unbeschwert das neue Jahr gefeiert hatten. Anders als vor zwölf Monaten machten sich die Massen bereits kurz nach Mitternacht auf den Heimweg.

Auch in Brüssel hatte der Bürgermeister das traditionelle Feuerwerk der Stadt abgesagt. Die Angst vor Terroranschlägen war einfach zu groß. "Es ist besser, wenn wir keine Risiken eingehen", sagte Yvan Mayeur. Trotzdem kamen Tausende in der Silvesternacht auf den Grand Place, das Zentrum der belgischen Hauptstadt, und feierten den Jahreswechsel. Zwar nicht so ausgelassen wie sonst, aber immerhin: Sie feierten, umarmten einander. Die Brüsseler Polizei hatte am Abend sechs Verdächtige festgenommen, die bis Freitag jedoch alle wieder freikamen. Der Staatsanwaltschaft zufolge gab es Durchsuchungen in mehreren Stadtbezirken und im Brüsseler Umland. Die Behörden hatten bereits vor wenigen Tagen Anschlagspläne für die Silvesternacht aufgedeckt und zwei Männer wegen Terrorverdachts festgenommen. Beide bleiben weiter in Haft. Auch die Terrorattacken von Paris lassen Brüssel nicht los. Die Behörden erließen einen Haftbefehl gegen einen weiteren Verdächtigen. Er sei am Mittwoch im Brüsseler Viertel Molenbeek festgenommen worden, teilte die Staatsanwaltschaft am Donnerstag mit. Dem 1993 geborenen Belgier wird terroristischer Mord und Beteiligung an den Aktivitäten der Terrorgruppe vorgeworfen. Bei der Razzia seien keine Waffen oder Sprengstoff sichergestellt worden. Dafür wurden "etwa zehn Handys" beschlagnahmt, teilte die Staatsanwaltschaft mit.

Derweil erhielten die Sicherheitsbehörden in Wien Warnungen, die jenen ähnelten, die in der Silvesternacht auch München in den Ausnahmezustand versetzten: Sieben Attentäter, hieß es, sollten unterwegs sein in der Wiener City, deren Namen von "befreundeten Geheimdiensten" weitergeleitet worden waren. Ob aber diesen sieben Namen auch real existierende Personen zuzuordnen waren, konnte - oder wollte - die Wiener Polizei bis zuletzt nicht bekanntgeben. Die Informationen seien bis zuletzt "abstrakt" geblieben, sagte ein Polizeisprecher.

Daher wurden Sonder- und Spezialeinheiten in Österreichs Hauptstadt zusammengezogen, 500 Polizisten patrouillierten in der City und in den angrenzenden Stadtbezirken; Bahnhöfe und U-Bahnen wurden verstärkt überwacht, denn als naheliegendes Anschlagsziel war der Wiener "Silvesterpfad" ausgemacht worden: eine Partymeile quer durch die Innenstadt, vom Rathaus über den Stephansdom und entlang der Kärntner Straße bis zur Oper, mit Feier-Außenstellen im Prater und dem Wiener Osten. Doch alles blieb ruhig, und so feierten etwa 600 000 Menschen mit Operette und Disco die letzte Nacht dieses so unruhigen Jahres.

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