Europa:Alleingang gegen Hetze

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Heiko Maas möchte Facebook & Co. bei Verstößen zur Kasse bitten. 24 Stunden hätten Unternehmen Zeit, um "offensichtlich strafbare Inhalte" zu löschen. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Bundesjustizminister Heiko Maas will Hass im Internet schärfer bekämpfen - und wirbt bei seinen EU-Kollegen dafür. Doch die Reaktionen sind verhalten.

Von Pia Ratzesberger, Brüssel

Kurz bevor er seine Kollegen aus den anderen europäischen Staaten trifft, gibt sich Heiko Maas (SPD) zurückhaltend. Der Bundesjustizminister erwähnt noch einmal seinen Gesetzesentwurf gegen Hass im Internet, aber anstatt offensiv für ihn zu werben, sagt er nur: "In der Sache" sei das doch "ein guter Gedanke." Dass Internetfirmen in Zukunft einen Ansprechpartner in Europa benennen müssen und nicht nur in den USA. Dass der Zugang zu den Unternehmen somit leichter sei. Die Meinungsfreiheit dürfe natürlich nicht eingeschränkt werden, fügt der deutsche Justizminister an, er kennt ja die Kritik. Sie schlägt ihm im eigenen Land entgegen und auch aus Brüssel. Die Europäische Kommission ist über den deutschen Gesetzentwurf alles andere als glücklich. Über den Alleingang gegen Hetze im Netz.

Gerade prüft die Kommission, ob die Pläne mit dem europäischen Recht vereinbar sind, und als sich die Justizminister aller EU-Mitgliedstaaten am Donnerstag in Luxemburg trafen, präsentierte Maas beim Mittagsessen seinen Gesetzesentwurf - die Mehrheit seiner Kollegen aber unterstützte ihn bei dem Vorhaben nicht. Der deutsche Justizminister will mit Hilfe eines nationalen Gesetzes soziale Netzwerke zwingen, "offenkundig rechtswidrige Inhalte" schneller zu löschen. Das Kabinett hat bereits zugestimmt, jetzt beschäftigt sich der Bundestag damit. Innerhalb von 24 Stunden müssten die Internetfirmen reagieren, nur bei strittigeren Fällen würde Maas sieben Tage Zeit gewähren. Wenn die Firmen die Inhalte nicht innerhalb der Frist von den Webseiten nehmen, könnten ihnen Strafen von bis zu 50 Millionen Euro drohen. Doch was ist "offenkundig rechtswidrig"? Ein Propagandavideo des Islamischen Staates? Ein Satire-Video von Jan Böhmermann? Über solche Fragen würden die Netzwerke innerhalb von 24 Stunden selbst entscheiden. Und genau das ist für viele ein Problem.

Internetaktivisten, Journalisten und Wirtschaftsverbände warnen vor Zensur

In Deutschland heißt es aus der Opposition, der Gesetzesentwurf möge zwar gut gemeint sein, sei aber schlecht gemacht. Nicht nur Internetaktivisten, auch Journalisten und Wirtschaftsverbände warnen vor Zensur. Juristen sehen unter anderem kritisch, dass die Regeln auch für soziale Netzwerke gelten sollen, deren Provider sich nicht in Deutschland befinden, sondern in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union; das widerspreche einer EU-Richtlinie. Bis zum Ende des Monats muss die Kommission jetzt prüfen, ob der Gesetzesentwurf mit dem Europarecht vereinbar ist oder nicht. Die Kommission habe nicht die Absicht, das Gesetz zu blockieren, sagte ein Sprecher.

Sollte die Kommission oder einer der europäischen Mitgliedstaaten eine Stellungnahme zu dem Gesetz abgeben, verzögert sich die Entscheidung allerdings. Dem deutschen Justizminister käme das ungelegen, er will das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode durchbringen. In Brüssel allerdings verfolgt man ohnehin eine ganz andere Strategie als in Berlin: "Wir sollten Innovation in Europa nicht stoppen, indem wir Plattformen überregulieren", sagte der EU-Digitalkommissar Andrus Ansip vor wenigen Wochen; er glaube an Selbstregulierung, und deshalb passen ihm die Pläne von Maas nicht ins Konzept. Es brauche eine gemeinsame, europäische Lösung, betonte er immer wieder. Das sagt der deutsche Justizminister zwar auch - aber prescht eben doch alleine vor, das deutsche Gesetz sei jetzt ein notwendiger Schritt.

Die Kommission will mittlerweile kein eigenes Gesetz mehr voranbringen; im vergangenen Jahr hatte sie mit vier Unternehmen einen Verhaltenskodex ausgearbeitet, mit Facebook, Twitter, Microsoft und Youtube. Darin haben sich die vier freiwillig verpflichtet, Hetze im Internet schneller zu löschen, und die Kommission gab erst vergangene Woche bekannt, dass diese Selbstverpflichtung auch tatsächlich helfe: In fast 60 Prozent aller Fälle, in denen Nutzer Hassbotschaften gemeldet hatten, hätten die Unternehmen diese am Ende gelöscht. Damit ist der Anteil doppelt so hoch wie vor sechs Monaten, damals lag die Quote bei 28 Prozent. Etwa die Hälfte gemeldeter Inhalte werde von den Unternehmen sogar innerhalb eines Tages untersucht, wenn auch nicht entfernt. Vor sechs Monaten lag der Anteil noch bei 40 Prozent. Sollten die Firmen sich weiter verbessern, wird die Kommission das wohl als Beweis dafür sehen, dass es kein Gesetz braucht.

© SZ vom 09.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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