EuGH:Generalanwalt befürwortet Asyl-Visum für besonders gefährdete Syrer

Greek Island Of Lesbos On The Frontline Of the Migrant Crisis

Sie hatten den gefährlichen Weg übers Mittelmeer überstanden: Eine Syrerin mit ihrem Kind auf der griechischen Insel Lesbos.

(Foto: Getty Images)
  • Um in der EU Asyl zu beantragen, müssen Menschen erst einmal dorthin gelangen. Doch das ist oft nur unter erheblichen Gefahren möglich.
  • Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) möchte Schutzsuchenden daher nun einen anderen, einen legalen Weg eröffnen: ein "Asyl-Visum" - zumindest in besonders krassen und eindeutigen Fällen.
  • Der EuGH könnte seiner Einschätzung folgen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Wer vor dem Krieg in Syrien nach Europa fliehen will, dem bleiben oft nur gefährliche Fluchtrouten, um sich überhaupt eine Chance auf Asyl zu verschaffen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) könnte nun jedoch für Verfolgte, die keinen anderen Ausweg haben, einen legalen Weg eröffnen: den Anspruch auf ein Visum, um einen Asylantrag stellen zu können.

Einen entsprechenden Schlussantrag hat nun Generalanwalt Paolo Mengozzi gestellt. Im konkreten Fall geht es um eine syrische Familie aus Aleppo, die in der belgischen Botschaft in Beirut ein humanitäres Visum für Belgien beantragt hat, um dort einen Asylantrag stellen zu können. Die dortigen Behörden haben dies abgelehnt.

Der Generalanwalt jedoch spricht sich dafür aus, ihnen auf der Basis der EU-Grundrechtecharta einen Anspruch auf Erteilung eines Visums zu erteilen, und zwar deshalb, weil ihnen sonst in Syrien "Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung" droht, wie es in Artikel 4 der Charta heißt. Dieser Schlussantrag ist zwar nicht bindend für den EuGH, doch in vielen Fällen folgt der Gerichtshof dem Generalanwalt. Mit einem Urteil ist in wenigen Wochen zu rechnen.

Die syrische Familie mit drei kleinen Kindern ist aus Sicht des Generalanwalts in einer desaströsen Lage, weil die Grenzen zum Libanon geschlossen und sie als orthodoxe Christen einer Gefahr der Verfolgung ausgesetzt seien. Ein Familienmitglied hatte vorgetragen, er sei von einer bewaffneten Gruppe entführt, gefoltert und geschlagen worden, bevor er gegen Lösegeld freigelassen worden sei.

Die Verweigerung von Visa treibe die Menschen "in die Arme jener, gegen die die EU derzeit vor allem im Mittelmeer mit großen operationellen und finanziellen Anstrengungen vorgeht, um ihre kriminellen Aktivitäten aufzudecken und zu unterbinden".

Mit dramatischen Worten schildert Mengozzi, dass die Familie praktisch keinen Ausweg habe: "In Syrien bleiben? Unvorstellbar. Sich unter Lebensgefahr skrupellosen Schleusern ausliefern, um Italien oder Griechenland zu erreichen? Unzumutbar." Sich damit abfinden, als illegale Flüchtlinge ohne internationalen Schutz im Libanon zu leben und möglicherweise nach Syrien zurückgeschickt zu werden? "Untragbar."

Der Vorschlag des Generalanwalts läuft daraus hinaus, den Geltungsbereich der vor sieben Jahren in Kraft getretenen Grundrechtecharta gleichsam über die Grenzen der EU hinaus zu erweitern. Ansatzpunkt dafür ist die sogenannte Visakodex-Verordnung, eine EU-Regelung zur Erteilung von Visa.

Unters Dach der europäischen Grundrechte schlüpfen

Der EuGH hatte schon vor Jahren betont, dass - wann immer europäisches Recht zur Anwendung kommt - auch die Grundrechtecharta Geltung haben muss. Indem die syrische Familie also auf der Grundlage der EU-Verordnung ein Visum beantragt, schlüpft sie unter das Dach der europäischen Grundrechte.

Generalanwalt Mengozzi macht allerdings deutlich, dass ein solcher Anspruch auf ein solches "Asyl-Visum" nur in besonders eindeutigen und krassen Fällen bestehen kann. Also in Fällen wie demjenigen der syrischen Familie: Der Weg in libanesische Flüchtlingslager war ihr verbaut, ein heimliches Überschreiten der Grenze zum Nachbarland nicht zumutbar - und eine Flucht übers Meer lebensgefährlich. Außerdem ist aus Sicht des Generalanwalts ziemlich klar, dass der syrischen Familie Verfolgung droht - weil sie Christen sind und weil es offenbar bereits eine gefährliche Entführung gab.

Im Umkehrschluss bedeutet dies: Wer sich nicht in einer derart bedrohlichen und ausweglosen Situation befindet, der wird keinen Anspruch auf Asyl haben. Falls der EuGH dem Vorschlag des Generalanwalts überhaupt folgt; die Mitgliedsstaaten wie auch die EU-Kommission haben sich in dem Verfahren gegen den Vorschlag des Generalanwalts ausgesprochen.

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