Europäisches Parlament:Zwei Italiener kämpfen in Brüssel

Der Favorit auf die Nachfolge des Präsidenten Martin Schulz ist ein Vertrauter Berlusconis und machte auch in der Abgas-Affäre keine gute Figur.

Von Daniel Brössler, Thomas Kirchner und Alexander Mühlauer, Brüssel

Diesmal ist alles offen, es kann alles anders kommen, auch in letzter Minute noch. Aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit werden die 751 Abgeordneten des Europäischen Parlaments sich an diesem Dienstag auf Antonio Tajani als neuen Präsidenten des Hauses und Nachfolger von Martin Schulz verständigen. Schließlich hat der Italiener in den 217 Parlamentariern der Europäischen Volkspartei die stärkste Gruppe im Rücken. Aber das reicht eben noch nicht zur Mehrheit, weshalb er in der vergangenen Woche auf Stimmenfang gehen musste.

Bei der Fraktion der Grünen gibt sich der Italiener zahm und freundlich. Gleich zu Beginn wedelt er mit einem Zettel, der beweisen soll, dass er nach seinem Ausscheiden als EU-Industriekommissar 2014 auf ein Abgangsgeld in Höhe von 500 000 Euro verzichtete. Angesichts der Krise in Europa wäre das nicht angemessen gewesen, sagt er. Dann beteuert er in immer neuen Worten, dass er das Amt ganz anders verstehe als Schulz, der sich zum Impresario der informellen großen Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten aufgeschwungen hatte. Tajani hingegen verspricht, "vollkommen neutral" zu sein, alle Abgeordneten gleichermaßen "zu achten und zu respektieren".

Die Grünen lauschen ihm mit freundlicher Distanz. Zu wirklich kritischen Fragen kann sich keiner aus ihren Reihen aufraffen. Dabei gäbe es dafür genügend Anlass. Tajani ist seit 1994 in Brüssel. Er ist nicht nur Gründungsmitglied von Silvio Berlusconis Forza Italia, sondern auch ein enger Vertrauter des Mailänder Populisten und ehemaligen italienischen Premiers. Tajani war so etwas wie Berlusconis Statthalter in der EU-Kapitale. Er weiß, dass viele in Brüssel ihn allein deshalb für nicht wählbar halten, schon gar nicht bei den Grünen.

Außerdem gibt es einen weiteren Makel, den Tajani einfach nicht loswird. In seiner Zeit als EU-Industriekommissar habe er nicht strikt genug eingegriffen, als VW und andere Dieselmotoren manipulierten, um Abgasgrenzwerte einzuhalten, lautet der Vorwurf. Er selbst beteuert, weder er noch sein Kabinett seien damals über Manipulationen informiert gewesen. Doch E-Mails, die der SZ vorliegen, zeigen zumindest, wie seine damalige Generaldirektion darauf drang, die Kriterien für Abgastests so weich wie möglich zu halten.

Schulz war zentrale Figur einer informellen großen Koalition, Pittella distanziert sich nun davon

In der Zusammenfassung eines Treffens mit Vertretern der EU-Mitgliedsstaaten vom 18. April 2012 heißt es vonseiten der Generaldirektion Unternehmen und Industrie: "Die europäische Autoindustrie befindet sich zurzeit in einer der schwersten Wirtschaftskrisen ihrer Geschichte." Es sei folglich "politisch nicht opportun, RDE-Maßnahmen in der Zulassungsgesetzgebung jetzt oder den kommenden Jahren einzuführen". RDE ist die Abkürzung für "Real Driving Emissions", also Abgastests unter realen Fahrbedingungen, sprich auf der Straße und nicht im Labor. Genau das will die EU-Kommission nun als Konsequenz des VW-Skandals umsetzen. Doch bereits in der Amtszeit Tajanis wurde dies vonseiten der Brüsseler Behörde und den Mitgliedsstaaten offenbar verhindert.

Auch der liberale Belgier Guy Verhofstadt kandidiert, aber Tajanis Hauptgegner ist ein Landsmann: Gianni Pittella von den Sozialdemokraten. Als Fraktionschef stand der Italiener jahrelang im Schatten von Parlamentspräsident Schulz, dem wichtigsten Ansprechpartner von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nicht nur im Parlament, sondern womöglich überhaupt in Brüssel. Schulz war die zentrale Figur einer informellen großen Koalition, von der sich Pittella nun nach Kräften distanziert. Sein "Freund" Schulz sei der Präsident einer Koalition gewesen, wirbt Pittella bei den Grünen, er aber wolle Präsident des ganzen Parlamentes sein.

189 Abgeordnete stellen die Sozialdemokraten. Wenn Pittella eine Chance haben will, braucht er in jedem Fall die Stimmen der Linken (52) und der Grünen (51). Wenn noch genügend Liberale hinzukämen, könnte es im vierten Wahlgang reichen, wenn die einfache Mehrheit genügt. Die große Koalition mit den Christdemokraten komme nicht wieder, verspricht Pittella deshalb.

Sorgen, um die Stabilität in Brüssel sei es nach der Präsidentenwahl so oder so geschehen, sind aber wohl übertrieben. In vertraulichen Gesprächen mit führenden Christdemokraten hat Pittella klargemacht, dass er zwar keine Koalition mehr wolle, sehr wohl aber auch künftig auf Kooperation setze. Im vierten Wahlgang bräuchte Tajani übrigens nur genau so viele Stimmen wie Pittella. "Bei Stimmengleichheit gilt der Kandidat mit dem höheren Lebensalter als gewählt", steht in der Geschäftsordnung. Tajani ist 63, Pittella erst 58.

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