EU:Zu viele Stimmen

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Trotz aller Zugeständnisse blockieren die Wallonen das Freihandelsabkommen Ceta mit Kanada. Für die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union ist dies ein fatales Signal, denn Europa muss geschlossen auftreten.

Von Thomas Kirchner

So weit ist die EU den Wallonen im Streit über den Freihandelsvertrag Ceta entgegengekommen: Sie sicherte zu, dass weder Sozial- noch Umweltstandards sinken, und dass Belgiens Landwirte nicht von kanadischen Traktoren überrollt werden. Sie ersetzte außerdem die zunächst geplanten privaten Schiedsgerichte für Streitigkeiten mit Investoren durch ein transparenteres System mit Berufungsinstanz. Doch stets kam zuverlässig ein Non aus Namur, der schönen Stadt an der Maas. Die Abgeordneten des wallonischen Regionalparlaments fanden immer wieder neue Punkte und Klauseln, die ihnen nicht genügen. Und lähmen jetzt damit die ganze EU.

In Wahrheit geht es kaum noch um Inhalte. Dass die Wallonen derart auf Widerstand gebürstet sind, hat viel mit innerbelgischen Problemen zu tun. Südbelgien, einst dank der Stahlproduktion eine starke Region, hat den Strukturwandel im Gegensatz zu Flandern nicht geschafft. Die Wallonen fühlen sich als Verlierer im eigenen Land. Jetzt sehen sie die Chance, sich zu wehren. Dass die US-Firma Caterpillar kürzlich Tausende Jobs strich, hat anti-nordamerikanische Ansichten und das Gefühl verstärkt, Opfer der Globalisierung zu sein. Auch sitzen die Sozialisten des regionalen Ministerpräsidenten Paul Magnette nicht in der rechtsliberalen nationalen Regierung, die ein Sparpaket nach dem anderen beschließt - worunter die Wallonen besonders leiden.

Die belgische Regierung hat das wallonische Problem nie ernst genommen. Aber auch die EU-Kommission trägt Verantwortung. Sie hat sich und der Union keinen Gefallen getan mit der Entscheidung, Ceta als "gemischtes Abkommen" einzustufen, das von allen nationalen - in Belgien eben auch von allen regionalen - Parlamenten ratifiziert werden muss. Bewirkt hatte dies maßgeblich Druck aus Berlin, genauer: durch Sigmar Gabriel, der die belgischen Genossen nun zum Einlenken drängt. Für die Handlungsfähigkeit der EU ist die Entwicklung fatal.

Wer ständig Gefahr läuft, von Regionen gestoppt zu werden, hat einen schweren Stand

Schon in der Außen- und Sicherheitspolitik, etwa beim Umgang mit Russland, findet Europa kaum zu einer einheitlichen Stimme. Die EU sollte sich nun nicht auch noch in der Handelspolitik selber blockieren, die seit dem Lissabonner Vertrag aus gutem Grund weitgehend in den Händen der europäischen Institutionen liegt, also vor allem der EU-Kommission. In diesem Bereich wird über Arbeitsplätze von Millionen Europäern entschieden; wer da nicht einheitlich auftritt, sondern ständig Gefahr läuft, von Regionalparlamenten gestoppt zu werden, der hat von vornherein einen schweren Stand bei Verhandlungen. Er ist kein verlässlicher Partner mehr, für niemanden.

Und wo bleiben die Bürger, was ist mit der Zivilgesellschaft? In der EU gibt es ein von allen Europäern demokratisch gewähltes Parlament. Dessen Abgeordnete haben sowohl die Ceta- als auch die TTIP-Verhandlungen von Anfang an begleitet, wurden über jeden Schritt informiert und werden am Ende darüber abstimmen. Viele ihrer Bedenken, die das Unbehagen ihrer Wähler spiegeln, wurden berücksichtigt. Dieser Prozess ist zwar nicht perfekt, manches ließe sich verbessern, und darüber wird zu reden sein. Wer ihn aber wie viele Kritiker von vornherein für undemokratisch hält, der hat ein Problem mit der Demokratie.

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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