EU:Zeit für Wirren

MEPs take part in a voting session at the European Parliament in Strasbourg

Schulz' Abgang wird für das EU-Parlament noch Folgen haben. Hier der Sitzungsraum in Straßburg.

(Foto: Vincent Kessler/Reuters)

Der Abgang von Martin Schulz als Präsident des Europaparlaments wirft in Brüssel mehr als nur eine Personalfrage auf.

Von Daniel Brössler

Martin Schulz hat bereits von der "großen Ehre" gesprochen, fünf Jahre Präsident des Europäischen Parlaments gewesen zu sein. Er hat auch schon angekündigt, künftig "von der nationalen Ebene aus für das europäische Projekt zu kämpfen". Nun ist die Zeit für Worte des Dankes. Schulz dankt seiner sozialistischen Fraktion, und er dankt seinem Team. Nur einen Menschen aber nennt er beim Namen: "Ich danke heute auch meinem Freund Jean-Claude Juncker, einem großen Europäer, für die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit in den vergangenen zweieinhalb Jahren." Der Kommissionspräsident, ein Christsozialer aus Luxemburg, hatte bis zuletzt mit der ganzen Autorität seines Amtes dafür gekämpft, dass der deutsche Sozialdemokrat an der Spitze des Europäischen Parlaments bleibt. Für Juncker ist Schulz' Wechsel nach Berlin eine Niederlage, die in Brüssel noch Folgen haben wird.

Die Machtbalance in Brüssel ist erst einmal durcheinander geraten

Immer mehr hatte in den vergangenen Tagen der Druck auf Schulz zugenommen, sich zu erklären. Der CSU-Mann Manfred Weber, der Fraktionschef von der Europäischen Volkspartei (EVP), und auch EVP-Parteichef Joseph Daul machten klar, dass die EVP auf die Vereinbarung pochen würde, den Parlamentspräsidenten in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode zu stellen. Am Ende ging dann alles schneller als geplant: Es bestand kein Zweifel mehr, dass Juncker die EVP nicht würde überzeugen können, Schulz nach fünf Jahren im Amt ein drittes Mal zu unterstützen.

Nachdem sich nun Schulz erklärt hat, hagelt es Lob. Weber dankt ihm für sein "herausragendes Engagement für Europa". Ein "kraftvoller und durchsetzungsstarker Europäer" sei er. "Das Europäische Parlament hat enorm von seiner Führung und seinem Einsatz profitiert", huldigt Weber dem Mann, dessen Verlängerung er in Brüssel zu verhindern hatte. Je ausführlicher er das tut, desto klarer wird, dass er nicht so gern über das spricht, was nun erst einmal zu erwarten ist: eine Zeit der Wirren. Wie fügt sich die Machtbalance zwischen Christ- und Sozialdemokraten, für die Schulz eine große Rolle spielte? Auch wer Schulz nachfolgen wird, bleibt unklar.

Weber bekräftigt den Führungsanspruch der EVP als stärkste Fraktion, aber er spricht auch von "enger Partnerschaft" und von der Verantwortung, "Stabilität zu gewährleisten". Ein Drittel der Abgeordneten seien Populisten oder Extremisten, von ihnen dürfe die Entscheidung nicht abhängen. Gleich mehrere EVP-Abgeordnete haben nun offiziell ihre Kandidatur für den Präsidentenjob verkündet. Alles hängt nun davon, ob und welcher EVP-Bewerber für die Sozialdemokraten, aber auch die Liberalen akzeptabel wäre. Man werde am "Prinzip festhalten, dass das politische Gleichgewicht bewahrt werden muss", lässt der sozialdemokratische Fraktionschef Gianni Pittella wissen. Soll heißen: Neben Kommission durch Juncker und Rat durch Donald Tusk dürfe nicht auch noch das Parlament von einem Christdemokraten geführt werden.

Die große Frage in Brüssel ist nun, was das alles für Juncker bedeutet. Bei einer Pressekonferenz nach dem EU-Ukraine-Gipfel kommt ganz offen die Frage nach einem Rücktritt auf. Anders als Tusk laufe er zwar nicht Marathon, sagt Juncker da, aber er erfreue sich dennoch "guter Gesundheit".

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