EU:Wilde Streithähne

Wollte man Europa heute malen, dann wäre das wohl ein irres Wimmelbild. Überall Streithähne. Keine klaren Fronten. Früher machte Angela Merkel trotzdem ihre Punkte. Jetzt aber droht ihr die innenpolitische Krise auf EU-Ebene zum Verhängnis zu werden.

Von Daniel Brössler

Frühjahr 2018 in Europa. Wollte man das malen, dann wohl als irres Wimmelbild. Zu sehen wären wilde Streithähne, die sich plötzlich im Zirkus von Rom um den Hals fallen, ein stolzer Spanier, der unerwartet vom Hof gejagt wird und im Schatten des Eiffelturms ein junger Mann, der mit wachsender Ungeduld auf die Uhr schaut. Er scheint auf seine Holde zu warten, die allerdings in einem Tumult in der Nähe des Brandenburger Tors aufgehalten worden ist. Es sieht fast so aus, als blitze da in ihrem Rücken ein Dolch. Aber so genau ist das auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Vom Bildrand aus beobachten derweil ein paar finstere Gestalten das Treiben. Sie reiben sich die Hände.

So sieht das aus, kaum zwei Wochen vor dem europäischen Gipfeltreffen, auf dem nun endlich alles gut werden soll. Auf der Hand liegt, dass innenpolitisches Chaos es nicht leichter macht, die Dinge auf europäischer Ebene zu ordnen. In den nationalen Hauptstädten absorbierte politische Energie fehlt in Brüssel. Im Falle Deutschlands war das in den langen Monaten bis zur Regierungsbildung zu beobachten und es gilt nicht minder, seit sich die Berliner Koalition am Rande des Abgrunds bewegt. Aus dieser offenkundi-gen Erkenntnis erwächst die verständliche Forderung an die Chefs von CDU und CSU, Angela Merkel und Horst Seehofer, sich zusammenzuraufen. Berlin wirkt aber nicht nur nach Europa. Europa wirkt auch nach Berlin. Und das mit großer Macht. In der aktuellen Regierungskrise womöglich sogar mit entscheidender.

Früher wussten die Partner, dass mit der Kanzlerin weiter zu rechnen ist. Und heute?

Der Kampf zwischen Merkel und Seehofer kann nicht isoliert betrachtet werden vom großen Konflikt, der sich schon seit Jahren in der Europäischen Union entfaltet. Auf der einen Seite stehen die Vertreter der illiberalen Internationalen, deren europäische Vorkämpfer Viktor Orbán, Jarosław Kaczynski, Matteo Salvini und Marine Le Pen heißen. An der Spitze der anderen Seite halten Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Stellung. Es ist keine gerade, übersichtliche Front. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz paktiert mal mit den Illiberalen, wenn es um Migration geht, und geriert sich dann wieder als Jünger des liberalen Niederländers Mark Rutte, der leidenschaftlich für eine zwar sparsame, aber moderne und rechtsstaatliche EU streitet. Kurz ist kein Mann großer Überzeugungen, aber mit einer guten Nase. Er spürt, dass der Kampf um Europa noch nicht entschieden ist.

Viel hängt vom Ausgang des Konflikts in Berlin ab. Das weiß Macron, der alles daran setzen wird, im Duo mit Merkel beim Gipfel Reformen für die Euro-Zone zu präsentieren. Das weiß aber auch der ultra-rechte Salvini, dessen Befehlsempfänger Guiseppe Conte an diesem Montag von Merkel empfangen wird. Die Kanzlerin hat ihr innenpolitisches Schicksal zu guten Teilen an Erfolge in Europa geknüpft - und das obwohl ein großer Kompromiss im Streit über Asyl und Migration beim Gipfel so gut wie ausgeschlossen ist. Zu weit gehen die Interessen auseinander. Merkel muss wenigstens mit einigen Transitländern Vereinbarungen treffen, die sie als Erfolg präsentieren kann. Schon das wird schwer.

In der Vergangenheit konnte Merkel in Europa Kompromisse auch erzwingen, weil die anderen wussten, dass mit ihr noch zu rechnen ist. Nun braucht sie Kompromisse, damit mit ihr noch zu rechnen ist. Das ist ein großer Unterschied.

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