EU:Was die Regierungskrise in Irland für den Brexit bedeutet

The British Prime Minister Triggers Article 50

Reizzone: Irland ist der einzige Staat mit einer Landgrenze zu Großbritannien. Noch stehen dort - wie hier in der nordirischen Stadt Newry - lediglich Protestplakate gegen den Brexit. Bald könnten Zöllner die Grenze bewachen.

(Foto: Getty Images)
  • Die Minderheitsregierung in Irland droht zu scheitern.
  • Die Brexit-Unterhändler in Brüssel schauen besorgt nach Dublin, denn die Grenzfrage zwischen Irland und Nordirland ist eine entscheidende Frage bei den Verhandlungen.

Von Björn Finke, London

Leo Varadkar griff zu einem dramatischen Vergleich. Es wäre falsch, "eine gute Frau unter den Bus zu werfen, um mich selbst und meine eigene Regierung zu retten", sagte der irische Premierminister in einem Fernsehinterview. Die "gute Frau" ist seine Stellvertreterin Frances Fitzgerald, und ihretwegen könnte schon an diesem Montag Varadkars Minderheitsregierung scheitern. Dann stünden Neuwahlen an, wohl kurz vor Weihnachten.

Der Zeitpunkt ist heikel: Die Staats- und Regierungschefs der EU entscheiden auf ihrem Gipfel am 14. und 15. Dezember darüber, ob die Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien in die nächste Phase eintreten sollen. Von allen verbleibenden EU-Mitgliedern belastet der Austritt Irland am stärksten. Zerbricht die Regierung in Dublin, kann sich Varadkar in diesen wichtigen Wochen nicht voll der Diplomatie widmen, sondern muss schnöde wahlkämpfen.

Seine Partei, die liberal-konservative Fine Gael, hat keine Mehrheit im Parlament. Der Taoiseach - ausgesprochen Tischach -, wie Varadkars Amt auf Irisch heißt, regiert in einer Koalition mit unabhängigen Parlamentariern. Die größte Oppositionspartei, die konservative Fianna Fáil, hat in einem Abkommen zugesagt, dieses Bündnis zu tolerieren. Doch am Freitag reichte Fianna Fáil einen Misstrauensantrag gegen Varadkars Stellvertreterin Frances Fitzgerald ein. Am Dienstag soll das Dáil Éireann, das Parlament, darüber debattieren - es sei denn, die Parteifreundin Varadkars tritt vorher zurück.

Aber der erst 38-jährige Regierungschef hält ihr die Treue und will Neuwahlen ausrufen, wenn Fianna Fáil den Antrag nicht bis Dienstag zurückzieht. Sowohl Varadkar als auch Micheál Martin, der Chef von Fianna Fáil, betonen, sie wollten Neuwahlen verhindern. Am Wochenende trafen sich die beiden Politiker.

Vize-Regierungschefin Fitzgerald steht wegen einer Polizei-Affäre in der Kritik, die bereits mehrere Politiker das Amt gekostet hat. Kürzlich kam heraus, dass sie im Mai 2015 als damalige Justizministerin eine brisante E-Mail erhielt. Thema war, wie die Polizeiführung die Glaubwürdigkeit eines Beamten diskreditieren wollte, der über interne Missstände ausgesagt hat. Fitzgerald reagierte nicht und behauptet heute, sie könne sich nicht erinnern, ob sie die E-Mail tatsächlich gelesen habe.

Meinungsumfragen sehen beide Parteien bei 26 bis 27 Prozent. Die Chance ist groß, dass vorgezogene Wahlen wieder zu einer Minderheitsregierung führen. Eine Koalition zwischen Fine Gael und Fianna Fáil verhindern lange zurückreichende Animositäten, trotz politischer Nähe.

Der Premier will eine Garantie, dass der Brexit nicht zu einer sichtbaren Grenze führt

Von 2011 bis zu den Wahlen im Februar 2016 regierte Fine Gael in einem Bündnis mit den Sozialdemokraten. Premier Enda Kenny steuerte Irland in diesen Jahren mit einem harten Sparprogramm aus der Krise. Doch die Wähler dankten es ihm nicht. Die Koalition verlor ihre Mehrheit, sodass Kenny in langen Verhandlungen eine Minderheitsregierung formen musste. Im Juni 2017 übergab er Parteiführung und den Posten des Taoiseach an Varadkar. Der Sohn eines aus Indien eingewanderten Arztes ist der erste offen homosexuelle Regierungschef im katholischen Irland.

Bei den Brexit-Gesprächen erhöhte Varadkar zuletzt den Druck auf die Briten. Der Premier sagte, er verlange eine schriftliche Zusicherung, dass durch den Austritt keine sichtbare Grenze zwischen Irland und Nordirland entstehe. Die Republik Irland ist der einzige Staat mit einer Landgrenze zu Großbritannien. Würden dort in Zukunft Zollhäuschen errichtet und Autos kontrolliert, würde das den Friedensprozess in Nordirland gefährden, fürchten Politiker im Norden und Süden der Insel.

London will nun anfangen, mit der EU über einen Handelsvertrag und Übergangsregelungen zu sprechen. Erst wenn dies zumindest in Grundzügen geklärt sei, könne man über die Grenzfrage sprechen, sagte am Sonntag der britische Handelsminister Liam Fox. Doch der EU-Gipfel im Dezember wird solchen Diskussionen nur zustimmen, wenn nach Ansicht der Regierungschefs genug Fortschritte bei drei Themen erzielt worden sind: den Kosten der Trennung, den Rechten der EU-Bürger und der Grenze in Nordirland. Beim letzten Punkt wird die Meinung Dublins wichtig sein. Es gilt aber als unwahrscheinlich, dass Varadkar den Beginn von Handelsgesprächen blockieren würde. Denn verließe Großbritannien die EU 2019 ohne Handelsvertrag, wäre das ein Desaster für Irlands Wirtschaft. Für viele irische Firmen ist das Nachbarland der wichtigste Exportmarkt. Ohne Handelsabkommen würden Zölle die Geschäfte behindern und die Grenze wieder sichtbar werden lassen.

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