EU-Verfassung:Ein ernüchterndes "Non" aus Frankreich

Die Franzosen haben der Einigung Europas einen schweren Rückschlag versetzt: 54,87 Prozent der Wähler stimmten beim Referendum am Sonntag gegen die EU-Verfassung. Präsident Jaques Chirac kündigte als Konsequenz einen "starken Impuls" an.

Experten erwarten deshalb eine Ablösung des unpopulären Premierministers Jean-Pierre Raffarin. Als Nachfolger wird der Chef der Regierungspartei UMP, Nicolas Sarkozy, gehandelt.

Demonstrantin, Reuters

"Nein"-Wähler feierten den Ausgang der Wahl.

(Foto: Foto: Reuters)

Er werde "in den allernächsten Tagen" eine Entscheidung über die Regierung und deren Prioritäten fällen, sagte Chirac. Raffarin bezeichnete das Nein als "tiefe Enttäuschung".

Nur 45,13 Prozent der Franzosen stimmten für die EU-Verfassung, wie das französische Innenministerium am Tag nach der Wahl bekannt gab. Für die Kommentatoren der französischen Presse am Montag hat diese deutliche Ablehnung des Vertragstextes ein "Erdbeben" in Frankreich und eine "Zeit der Unsicherheit für den europäischen Aufbau" ausgelöst.

Die EU rief zur Fortsetzung der Ratifizierung in den anderen Staaten auf. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zeigte sich wie viele weitere Regierungschef enttäuscht.

Niederlandes Ministerpräsident Jan Peter Balkenende rief seine Landsleute zur Zustimmung zur Verfassung auf. Tausende Nein-Anhänger feierten auf Frankreichs Straßen ihren Sieg.

Die Wahlbeteiligung erreichte landesweit 69,74 Prozent und lag damit knapp höher als beim Referendum zum Maastricht-Vertrag 1992 (69,70 Prozent). In der Hauptstadt Paris stimmten mehr als 66 Prozent mit Ja.

Ratifizierung geht weiter

Auch in den meisten anderen Großstädten votierten die Bürger gegen den landesweiten Trend: In Lyon erreichte das Ja 61,35 Prozent, in Straßburg 62,84 Prozent. Die zweitgrößte Stadt des Landes, Marseille, lehnte den Verfassungsvertrag indes mit 61,17 Prozent klar ab.

"Der Prozess der Ratifizierung muss in den anderen Ländern weitergehen", sagte der luxemburgische Ministerpräsident und EU-Ratsvorsitzende Jean-Claude Juncker in Brüssel. "Der Verfassungsvertrag ist nicht tot!" Die Staats- und Regierungschefs würden sich wie geplant Mitte Juni zum Gipfel in Brüssel treffen.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagte, die Politiker hätten nicht ausreichend klar machen können, dass der strittige Vorschlag für die EU-weite Liberalisierung der Dienstleistungen nichts zu tun habe mit der Verfassung.

Missverständnisse

Auch bei anderen Punkten in der französischen Verfassungsdebatte sei es zu Missverständnissen gerkommen. Barroso wie Juncker sagten, dass die Ablehnung in Frankreich auch innenpolitische Ursachen habe.

Außenminister Michel Barnier sagte, Frankreich wolle zunächst das Ende des Ratifizierungsprozesses abwarten und "dann weiter sehen". Der Chef der Regierungspartei UMP, Nicolas Sarkozy, kündigte eine "entscheidende Wende in der Wirtschafts- und Sozialpolitik" an.

"Rückschlag, aber nicht das Ende"

Schröder erklärte, der Ausgang des Referendums sei "ein Rückschlag für den Verfassungsprozess, aber nicht sein Ende". Die Ablehnung bedeute "auch nicht das Ende der deutsch-französischen Partnerschaft in und für Europa". Der Ratifikationsprozess in den Mitgliedsstaaten müsse weitergehen."

Auch führende Politiker in Polen, Spanien, Italien und anderen EU-Ländern sprachen sich dafür aus. Großbritanniens Außenminister Jack Straw sagte dagegen, es sei noch nicht klar, ob sein Land wie geplant im kommenden Jahr ein Referendum abhalte.

In Paris kamen in der Nacht nach der Wahl nach Polizeiangaben rund 3000 Gegner der EU-Verfassung zusammen, um ihren Sieg zu feiern. Vor allem Mitglieder von Gewerkschaften, Kommunisten und des globalisierungskritischen Netzwerks Attac versammelten sich am Bastille-Platz im Osten der Hauptstadt.

Verheugen skeptisch

Sie schwenkten rote Fahnen oder trugen Spruchbänder, auf denen sie ihre Zufriedenheit über die Ablehnung der Verfassung ausdrückten. Im südfranzösischen Toulouse feierten rund 500 Menschen den Sieg des Neins.

"Dieses Resultat gibt den Niederländern einen Grund mehr, mit Ja zu stimmen", sagte Balkenende. Der deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen sagte in der ARD, er sei "nicht besonders hoffnungsvoll", was die niederländische Abtimmung angehe. In den Umfragen liegt auch in den Nierderlanden das Nein vorn.

Frankreich hat als zehntes von 25 EU-Ländern über die EU- Verfassung entschieden. Die neun übrigen Länder, darunter Deutschland am vergangenen Freitag, haben dem Text zugestimmt.

Bisher gilt als Grundlage der EU-Arbeit der Vertrag von Nizza, mit dem Mehrheitsentscheidungen im EU-Ministerrat schwerer zu erreichen sind als mit der Verfassung.

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