EU-Sanktionen gegen Iran:Totaler Boykott - oder die iranische Bombe

Europa muss im Atomstreit mit Iran endlich die Augen öffnen und die angedrohten strengen Sanktionen in die Tat umsetzen: Die letzte Möglichkeit, einen israelischen Angriff zu verhindern, ist der totale wirtschaftliche und diplomatische Boykott des Regimes in Teheran. Ein Militärschlag Israels würde den gesamten Nahen Osten in Flammen aufgehen lassen.

Ronen Bergman

Im Juli 2005 lud das französische Verteidigungsministerium israelische Journalisten zu Gesprächen nach Paris ein. Es war die heißeste Woche des Jahres, und die Tatsache, dass vielen Pariser Büros eine Klimaanlage fehlt, machte die brütende Hitze noch unerträglicher. Nicht weniger hitzig waren die Reden mehrerer ranghoher Beamter des Ministeriums, wenn es um das iranische Streben nach Atomwaffen ging.

Mahmoud Ahmadinejad

Irans Prasident Mahmud Ahmadinedschad präsentiert gerne die eigene Atommacht, hier in der Urananreicherungsanlage Natanz, 300 Kilometer südlich von Teheran.

(Foto: AP)

Die Journalisten, mich eingeschlossen, waren von der energischen Haltung der Ministerialbeamten überrascht, die sich für sofortige strenge Sanktionen aussprachen und auch den Einsatz militärischer Gewalt nicht gänzlich ablehnten, um zu verhindern, dass dem extremistischen Regime in Teheran Atomwaffen in die Hände gelangen. Im Gespräch mit einem leitenden französischen Beamten konnte ich nicht anders, als ein wenig "Advocatus Diaboli" zu spielen. "Es gibt doch so viele Probleme, derer man sich annehmen müsste. Warum ausgerechnet dieses?", fragte ich etwas herausfordernd. Einen Augenblick lang schwieg er, dann erwiderte er ruhig: "Wegen Irak. Wir haben ein schlechtes Gewissen."

Da begriffen wir. Frankreich hatte den Irak mit seiner nuklearen Infrastruktur versorgt und einen Reaktor gebaut, der kurz davor stand, in Betrieb genommen zu werden und Plutonium für Atomwaffen zu produzieren, als er 1981 in einem Luftangriff von Israel zerstört wurde. Dieses Stigma ist das französische Verteidigungsestablishment, dem die verbotene Produktion bekannt war und das nichts dagegen unternommen hatte, nie mehr losgeworden. Seitdem sind dreißig Jahre vergangen, und seit sieben Jahren versucht das französische Verteidigungsministerium, den Fehler wiedergutzumachen, indem es eine hartnäckige Haltung gegenüber Iran einnimmt.

Frankreich ist nicht das einzige europäische Land mit solchen außenpolitischen Leichen im Keller. Europas Erfolgsbilanz im Kampf gegen die Proliferation von Massenvernichtungswaffen ist bis heute nicht sehr beeindruckend. Von den deutschen Wissenschaftlern, die Ägypten in den 1960er Jahren bei der Produktion von Raketen halfen, über die britischen und deutschen Firmen, die die zweite Phase von Saddam Husseins Atomprogramm unterstützten, bis zu den vielen europäischen Elementen, die im Netzwerk von Abdel Qadir Khan, dem Leiter des pakistanischen Nuklearprogramms, eine Rolle spielten.

Man sollte meinen, dass die nachhaltigen Lektionen dieser Ereignisse nicht ohne Wirkung auf Europas heutige Haltung gegenüber Iran bleiben, aber so einfach ist es nicht. Seit nunmehr zwanzig Jahren schlagen die USA und Israel wegen der iranischen Bemühungen um Atomwaffen Alarm. Daten der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zeigen - selbst in den etwas verwässerten Berichten ihres früheren Direktors Mohammed al-Baradei - deutlich, dass Iran verbotenen Aktivitäten nachgeht. Die Geheimdienste Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens sind ähnlicher Meinung wie Israel, wenn sie feststellen, dass Iran zweifellos enorme Anstrengungen unternimmt, um eine Atombombe zu bauen, und kurz vor der Fertigstellung seiner ersten steht.

An dieser Stelle hat sich eine Kluft aufgetan zwischen den besorgniserregenden Einschätzungen von Geheimdiensten und Militärs in einigen europäischen Ländern und den infolge dieser Einschätzungen getroffenen diplomatischen Maßnahmen.

Zwar ist es wahr, dass Europa mehr gegen Iran unternommen hat als gegen alle anderen Schurkenstaaten. Doch das war all die Zeit - bis vor Kurzem - bei Weitem nicht genug. Im Jahr 2003 zogen die USA ihre Kräfte im Persischen Golf zusammen. Von dort aus marschierten sie in den Irak ein. Iran befürchtete, als Nächstes dran zu sein, und stellte sein Nuklearprogramm vorübergehend ein. An diesem Punkt versäumte es Europa, die Situation für sich zu nutzen - es hat die Gelegenheit verpasst, starken Druck auf Iran auszuüben, damit dieser das Programm ein für alle Mal einstellt. In den folgenden Jahren wurden europäische Diplomaten von einer Iran-Verhandlung zur nächsten geschleift. Mit zahlreichen Verzögerungen und Verschiebungen wurde auf Zeit gespielt.

Gleichzeitig stießen die USA und Israel mit ihrem Versuch, die Europäer davon zu überzeugen, dass wirtschaftlicher Druck das wirksamste Mittel sei, um das Regime in Teheran zum Aufhören zu bewegen, und die Wirtschaftssanktionen gegen Iran zu verschärfen, auf große Schwierigkeiten. Rückblickend hat es den Anschein, als habe man mit Skepsis Tatenlosigkeit und die Vermeidung einer eindeutigen Haltung rechtfertigen wollen.

Die Geheimdienste der USA, Israels und der meisten europäischen Länder sind völlig einer Meinung, wenn es um Irans Absichten geht, eine Atombombe zu entwickeln. Die Schwierigkeiten dabei, eine einheitliche Front zu bilden, lassen sich wohl mit einem Missverständnis von Motiven und Stimmung erklären.

Warum sich die Europäer mit Israels Haltung schwer tun

Einerseits tun sich viele Europäer schwer damit nachzuvollziehen, welch tiefgehenden Einfluss die Traumata der Vergangenheit auf den Entscheidungsprozess in Israel haben: Irans offen erklärte Absicht, Israel zu zerstören, und Israels Angst vor einem zweiten Holocaust werden zusammen mit der in Israel verbreiteten "Wagenburg-Mentalität" letztlich dazu führen, dass Israel Irans Nuklearanlagen angreifen wird - wenn es nicht gelingt, Teheran zur Aufgabe seines Atomprogramms zu bewegen. Israel hat das Gefühl, dass die Zeit davonläuft und das window of opportunity für einen israelischen Angriff noch höchstens ein Jahr offen sein wird.

Andererseits fällt es Israel schwer, die Probleme zu begreifen, mit denen es europäische Staaten zu tun bekommen, wenn sie bei einer Verschärfung der Sanktionen auf ihre Einnahmen aus dem Handel mit Iran verzichten, der Tausende von Arbeitsplätzen sichert.

Wägt man Kosten und Nutzen gegeneinander ab, sind die Sanktionen im Vergleich zu einem nuklear bewaffneten Iran langfristig doch die weitaus weniger kostspielige Strategie. Selbst wenn man die Möglichkeit ausschließt, dass Iran diese Waffe tatsächlich gegen Israel oder Europa zum Einsatz bringt, würde Irans Atomerfolg zumindest ein nukleares Wettrüsten zwischen der Türkei, Ägypten und Saudi-Arabien auslösen. Folge wäre die Destabilisierung der gesamten Region, die Regierungen weltweit teuer zu stehen käme.

Wenn Israel, um dies zu verhindern, einen Angriff gegen Iran plant, könnte der gesamte Nahe Osten in Flammen aufgehen - was eine weitere Finanzkatastrophe für Europa und einen großen Teil der entwickelten Welt bedeuten würde.

Der jüngste Bericht der IAEA unter Yukiya Amano lässt keinen Raum für Zweifel oder Entschuldigungen. Die verlässlichste Organisation der internationalen Gemeinschaft, die sich mit atomaren Fragen beschäftigt, hat erklärt, dass Iran in verschiedenen Bereichen tätig ist, die mit der Herstellung von Atomwaffen zu tun haben. Die letzte Möglichkeit, einen israelischen Angriff zu verhindern, ist der totale wirtschaftliche und diplomatische Boykott Irans durch Europa. Ein Boykott, der die Führer dieses Landes zu der Einsicht zwingt, dass eine Fortsetzung des Atomprogramms für militärische Zwecke den wirtschaftlichen Kollaps ihres Regimes nach sich ziehen würde - und daher der Preis einfach zu hoch ist.

Tatsächlich haben während der vergangenen zwei Wochen haben internationale europäische Institutionen eine Reihe von Entscheidungen getroffen, die den wirtschaftlichen Druck auf Iran kräftig erhöhen. Und europäische Politiker haben mit klaren Worten ihre Entschlossenheit verkündet, Iran nicht zur Atommacht aufsteigen zu lassen. War es nun der Bericht der IAEA, der zu diesen Entscheidungen geführt hat oder vielleicht auch Israels Drohungen, Iran anzugreifen - Drohungen, die in erster Linie an Europa gerichtet waren?

Das kommende Jahr, das der israelische Geheimdienst als "Jahr der Entscheidung" in Bezug auf Iran bezeichnet, wird auch Antworten auf Fragen der europäischen Außenpolitik zeitigen: Werden die angekündigten strengen Sanktionen auch in die Tat umgesetzt? Und werden diese Maßnahmen im Lichte der riesigen wissenschaftlichen Fortschritte des iranischen Atomprojekts stark genug sein, um das Regime in Teheran davon zu überzeugen, dass es in seinem eigenen Interesse ist, es nicht weiter zu verfolgen? In Israel sehen viele voraus, dass die Europäer eines Tages bedauern werden, nicht mehr dafür getan zu haben, um das Projekt zu stoppen - und dass es dann zu spät sein wird.

Dr. Ronen Bergman schreibt als führender politischer und militärischer Beobachter unter anderem für die israelische Tageszeitung Yedioth Ahronoth und für das New York Times Magazine. Sein Beitrag ist Teil einer Reihe zu aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen weltweit, die Süddeutsche.de in Zusammenarbeit mit der Körber-Stiftung vor der Münchner Sicherheitskonferenz 2012 veröffentlicht. Die Autoren gehören zum Netzwerk der Munich Young Leaders, einem Kooperationsprojekt von Münchner Sicherheitskonferenz und Körber-Stiftung.

Linktipp: Den Leitartikel über einen möglichen Angriff Israels auf Iran im Jahr 2012 mit dem Ziel, Iran am Aufstieg zur Atommacht zu hindern, hat er für das New York Times Magazine verfasst: http://www.nytimes.com/2012/01/29/magazine/will-israel-attack-iran.html?_r=1

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