EU:Römische Verträglichkeit

EU: Historische Linie: Jean-Claude Juncker verwendet für seine Erklärung den Stift, mit dem 1957 die Römischen Verträge unterschrieben wurden.

Historische Linie: Jean-Claude Juncker verwendet für seine Erklärung den Stift, mit dem 1957 die Römischen Verträge unterschrieben wurden.

(Foto: Alessandra Tarantino/AP)

Die Europäische Union feiert ihre Geburtsstunde. Über allem aber schwebt die Frage, was die Jubiläumsparty überhaupt wert ist.

Von Daniel Brössler und Alexander Mühlauer, Rom

So bewusst Konrad Adenauer der "geschichtliche Augenblick" war, wollte er sich doch "sicherlich nicht in Vorschusslorbeeren winden". Der Bundeskanzler, der am 25. März 1957 in seiner Eigenschaft als Außenminister die Römischen Verträge zur Schaffung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Euratom unterzeichnete, sprach vielmehr "von den vielen Aufgaben, die vor uns liegen".

60 Jahre danach steht Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem Kapitol in Rom und sagt: "Die Arbeitsagenda ist wichtig." Eben noch haben sich die Mächtigen der Europäischen Union an diesem historischen Ort gefeiert, aber schon jetzt ist die Frage, was die Jubiläumsparty wert ist. Zwei Botschaften sollten von Rom ausgehen: Trotz Brexit und aller Brüche halten wir zusammen. Und: Wir haben einen Plan.

"Europa als politisches Gebilde wird entweder einig sein oder gar nicht", sagt EU-Ratspräsident Donald Tusk. Als Pole habe er sein halbes Leben hinter dem Eisernen Vorhang verbracht, wo es verboten gewesen sei, von europäischen Werten auch nur zu träumen. "Das war wirklich ein Europa der zwei Geschwindigkeiten damals", sagt er. Worte sind das, die einen Streit abschließen sollen, der die Feierlichkeit zu trüben drohte. In der Erklärung von Rom ist von verschiedenen Geschwindigkeiten nicht mehr die Rede, sondern von "unterschiedlicher Gangart", wie es in der offiziellen deutschen Übersetzung jetzt heißt. Vor allem aber: Man bewege sich in "dieselbe Richtung".

Auch die nationalkonservative polnische Ministerpräsidentin Beata Szydło, die noch in den vergangenen Tagen mit Blockade gedroht hat, unterzeichnet. Ebenso der linke griechische Premierminister Alexis Tsipras, dem das Soziale zu kurz kam. In der Pressekonferenz im Anschluss an die Zeremonie äußert Tusk die Zuversicht, dass die Sozialpartner auch künftig ein "hohes Maß an sozialem Schutz sicherstellen können". Die Formel war wohl so abgemacht, um Tspiras zu besänftigen.

Die Europäer seien nicht stolz genug auf ihre Errungenschaften, die sie gar nicht mehr wahrnehmen würden, beklagt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. "Ich bin nirgendwo lieber Europäer als in Afrika oder als in Asien", sagt der Luxemburger. Wenn er dann wieder in Brüssel lande, "in diesem Tal der Tränen, dann überkommt mich so etwas wie Wehmut nach Ferne, weil man Europa besser aus der Ferne sieht, als man Europa aus der Nähe sieht". Bereits am Abend zuvor hatte Papst Franziskus den Staats- und Regierungschefs ins Gewissen geredet. Bei einer halbstündigen Privataudienz im Vatikan rief er sie zum Kampf gegen den Populismus auf. Diese Bewegungen seien "Blüten des Egoismus" und nicht in der Lage, "die Enge der eigenen Gedanken einzusehen".

In ihrer Erklärung geben die Staats- und Regierungschefs dann ein Versprechen ab, das irgendwie auf alle Herausforderungen Antwort geben soll. "In den kommenden zehn Jahren wollen wir eine sichere und geschützte, wohlhabende, wettbewerbsfähige, nachhaltige und sozial verantwortungsvolle Union, die willens und in der Lage ist, eine entscheidende Rolle in der Welt zu spielen und die Globalisierung zu gestalten." Doch wenn es wieder konkret wird, sind die Konflikte schon jetzt klar.

In der Migrationspolitik wird weiter darüber gestritten werden, was Solidarität bedeutet. "Wir haben uns die Freizügigkeit erlaubt, aber keine Außengrenzen gesichert", sagt Merkel selbstkritisch. Außerdem müsse man die Währung "wetterfest" machen, fügt die Kanzlerin hinzu. Die "Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion" wird zwar in der Römischen Erklärung erwähnt, aber solange sich Deutschland und Frankreich nicht einig sind, wie das geschehen soll, bleibt der Euro krisenanfällig. Ähnliche Konfliktlinien zeigen sich bei der Frage, wie sozial Europa sein soll. Vereinfacht gesagt, dringen die Staaten südlich der Alpen auf mehr Vergemeinschaftung, etwa eine EU-weite Arbeitslosenversicherung. Doch dagegen sträuben sich die Nord-Länder entschieden.

Vorangetrieben werden sollen schon in den nächsten Monaten die Arbeiten an einer Union, "die sich zur Stärkung ihrer gemeinsamen Sicherheit und Verteidigung bekennt". Die Möglichkeit dazu ist schon im Lissabon-Vertrag angelegt. Er erlaubt eine "ständige strukturierte Zusammenarbeit" (Pesco) einzelner EU-Staaten. Die Bundesregierung strebt so eine Pesco mit Beteiligung möglichst aller EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens an. In dem Rahmen könnten etwa ein verlegbares Krankenhaus oder gemeinsame Offiziersausbildung organisiert werden. Doch auch hier sind Einzelheiten noch strittig.

An diesem Mittwoch geht im "Tal der Tränen" die Austrittserklärung aus Großbritannien ein. Aus Rom reisen die Gäste dennoch vergleichsweise heiter ab. Alles in allem, diagnostiziert Kommissionspräsident Juncker, gebe es "doch so etwas wie eine beginnende Aufbruchstimmung".

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