EU-Referendum:Nur für Briten

David Camerons Referendum wirft viele Fragen auf: Eine der wichtigsten hat der Premierminister am Wochenende beantwortet.

Von Mark Rice-Oxley und Ian Traynor (The Guardian), London/Brüssel

David Cameron hat also die Wahl gewonnen, und jetzt strebt das EU-Mitglied Großbritannien Richtung Ausgangstür - richtig? Nicht so schnell. Zwar hat der deutliche Wahlsieg des konservativen Premierministers ohne Zweifel zur Folge, das Großbritanniens Platz in der EU mehr in Zweifel steht als je in den vergangenen 40 Jahren. Doch ein britischer Austritt - der "Brexit" - ist alles andere als sicher. Es gibt dazu noch etliche offene Fragen.

Die erste Frage lautet: Wann soll Camerons Referendum zur britischen EU-Mitgliedschaft stattfinden? Zunächst war 2017 angepeilt worden; nun könnte es vorgezogen werden. Das könnte den Europa-Befürwortern wertvolle Zeit nehmen, um die Öffentlichkeit zu überzeugen. Doch niemand rechnet mit einem Votum vor dem Herbst 2016. Es bleiben also noch mindestens 16 Monate für die Debatte.

Die zweite Frage ist: Wie wird die Frage auf dem Abstimmungszettel formuliert? Das ist entscheidend. Eine einfache, klare Abstimmung über Austritt oder Mitgliedschaft ist besser für die Befürworter, weil sie dann mit den Ängsten vor den dramatischen Folgen eines Brexit spielen könnten. Je vager die Frage gestellt wird, desto mehr profitieren die EU-Skeptiker.

Die dritte Frage: Wer darf abstimmen? Diese Frage hat David Cameron am Wochenende überraschend klar beantwortet: Das Prozedere der Volksabstimmung soll sich nach den Vorgaben für die britische Parlamentswahl richten. Damit wären die meisten Bürger aus anderen EU-Staaten von der Abstimmung ausgeschlossen. Obwohl sie von der Entscheidung betroffen sind. Am Donnerstag soll ein entsprechendes Gesetz ins Parlament eingebracht werden.

EU-Referendum: Mehr Zweifel denn je: Der alte und neue britische Premier Cameron.

Mehr Zweifel denn je: Der alte und neue britische Premier Cameron.

(Foto: Matt Dunham/AP)

Die vierte Frage lautet: Was genau wird den Briten zur Abstimmung vorgelegt? Wird Cameron in Brüssel von den EU-Partnern Zugeständnisse erwirken können, mit denen er die EU-Skeptiker besänftigen und überzeugen kann? Und was könnten diese Zugeständnisse sein? Das ist bisher nicht ganz klar - auch deswegen, weil Cameron sich in dieser Frage bewusst unscharf geäußert hat. Dem britischen Premier käme zwar eine formelle Änderung der EU-Verträge gelegen, weil dadurch die beste Möglichkeit bestünde, die Rolle Großbritanniens in der EU grundlegend neu zu verhandeln. Aber Vertragsänderungen wird es wohl nicht geben.

Im Idealfall hätte Cameron gerne ein Vetorecht des britischen Parlaments bei EU-Gesetzen. Doch das ist unmöglich. Die Parlamente der 27 anderen EU-Länder würden dies ebenfalls fordern. Eher denkbar ist, dass Großbritannien von dem EU-Ziel ausgenommen wird, eine "immer engere Union" zu bilden. Diese Formulierung ist Wasser auf die Mühlen der Euroskeptiker.

Eine zentrale Forderung David Camerons ist eine Änderung der Regeln für die Freizügigkeit von Personen in der EU. London sucht mit aller Macht nach einem Weg, um zugezogenen EU-Bürgern die Zahlung von Sozialleistungen verweigern zu können. Bei diesem Thema gibt es viel Bewegung. Die alte, im November abgetretene EU-Kommission hatte sich stets gegen Änderungen bei der Freizügigkeit gewehrt und britische Klagen über einen "Sozialtourismus" abgeschmettert. Die nun amtierende EU-Kommission hingegen ist offener: Sie betont, dass das abstrakte Recht auf Freizügigkeit natürlich unantastbar sei, es aber nicht als Vorwand für den Missbrauch von Sozialleistungen in einem anderen EU-Land dienen dürfe - ein ganz neuer Ton.

Labour schwenkt um

Bei dem geplanten Referendum über einen Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union sollen die meisten der 1,5 Millionen EU-Bürger mit Wohnsitz im Vereinigten Königreich nicht mitstimmen dürfen. Neben Briten will die Regierung von David Cameron nur Iren, Malteser und Zyprer abstimmen lassen, also Bürger des Commonwealth. Andere EU-Bürger in Großbritannien, die keinen britischen Pass haben, sollen ausgeschlossen bleiben - obwohl sie bei Kommunal- und Europawahlen abstimmen dürfen. "Das ist eine wichtige Entscheidung für unser Land, eine, die die Zukunft des Vereinigten Königreichs betrifft", sagte ein Mitarbeiter Camerons. "Deshalb denken wir, dass es wichtig ist, dass die britischen, irischen und Commonwealth-Bürger diejenigen sind, die entscheiden dürfen."

Inzwischen will auch die oppositionelle Labour-Partei ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU unterstützen. Die Briten wollten bei der Mitgliedschaft in der EU mitreden, "also wird Labour nun ein Referendum befürworten", erklärten die amtierende Parteichefin Harriet Harman und der außenpolitische Sprecher Hilary Benn in der Sunday Times. Zugleich kündigten sie an, für den Verbleib Großbritanniens in der EU kämpfen zu wollen.

Während des Wahlkampfs vor der Parlamentswahl am 7. Mai, den die konservative Regierungspartei überraschend deutlich gewann, hatte Labour die Abhaltung eines Referendums noch abgelehnt und auf die wirtschaftlichen Risiken verwiesen, die eine Befragung mit sich bringen könnte. Die britische Wirtschaft sieht das geplante Referendum skeptisch. Manager fürchten im Falle eines Austritts einen schlechteren Zugang zu wichtigen Exportmärkten und einen Rückschlag für die wichtige heimische Finanzindustrie.

Cameron wirbt zurzeit für eine Reform der Beziehungen seines Landes zur EU und besucht dafür andere Staats- und Regierungschefs. Am Montag wollte er EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker empfangen. Am Freitag ist ein Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel in Berlin geplant. Auch Frankreichs Präsident darf mit eine Visite rechnen. Cameron will den Zugang von Einwanderern aus EU-Staaten zu Sozialleistungen seines Landes erschweren. Kanzlerin Merkel hatte betont, dass Großbritannien zunächst eigene Reformen versuchen sollte, anstatt EU-Grundrechte in Frage zu stellen.

Die Bank von England will derweil die Folgen eines möglichen EU-Austritts untersuchen. Ergebnisse der Prüfung würden "zu geeigneter Zeit" veröffentlicht, hieß es am Montag. Die Bank von England war unter Erklärungsdruck geraten, nachdem eine als strikt vertraulich gekennzeichnete E-Mail versehentlich an den Guardian gesendet worden war. Dem Blatt zufolge wurde darin verfügt, die Prüfung vor Beschäftigten der Notenbank und Journalisten geheim zu halten. SZ

Cameron könnte also eine Änderung der Regeln erreichen, die ihm erlaubt, Einwanderern aus anderen EU-Ländern bestimmte Sozialleistungen oder Steuervorteile vorzuenthalten; zumindest für einige Zeit. Camerons Vorstellung: vier Jahre.

Doch die Verhandlungen werden hart werden. Denn eigentlich sollen EU-Bürger alle und überall gleich sein. Camerons Plan aber liefe auf zwei Klassen von Bürgern hinaus. Zudem könnten die etwa zwei Millionen Briten, die im EU-Ausland leben, mit den gleichen Sanktionen belegt werden. Auch viele von ihnen erhalten Sozialleistungen wie etwa Arbeitslosengeld.

Die fünfte offene Frage zum Referendum betrifft die Umfragen: Derzeit zeigen sie die EU-Skeptiker klar vor den Befürwortern. Doch das Schottland-Referendum und die jüngste Parlamentswahl haben gezeigt, wie falsch die Meinungsforscher oft liegen. Offenbar gibt es viele Menschen in Großbritannien, die sich bei Umfragen weit aus dem Fenster lehnen - wenn es ernst wird, aber zurückschrecken und für das Bekannte und Bewährte stimmen. Auf dieses Phänomen hoffen die Europafreunde.

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