EU-Referendum:Die wichtigsten Köpfe im Brexit-Streit

Premier David Cameron und sein Widersacher Boris Johnson sind bekannt. Aber was ist mit der deutschen Pro-Brexit-Frau? Und wer ist dieser Totalausfall im Europalager? Alle Antworten hier.

Von Thorsten Denkler

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Pro Brexit:Boris Johnson

Boris Johnson And Gisela Stuart Aboard The Leave Campaign Bus

Quelle: Getty Images

Geboren am 19. Juni 1964 in New York

Mitglied der Conservative Party

Status: Zausel-Rethoriker

Im Rest Europas wurde noch darüber gelacht, als dieser Boris Johnson, oder BoJo, wie ihn manche Briten nennen, im Jahr 2008 plötzlich Bürgermeister der Millionen-Metropole London wurde. Diese wuschig-zerzausten, blonden Haare, die gebeugte Haltung, die schief sitzenden Krawatten, die ausgebeulten Sakkos. Johnson ist so, wie sich ein Festländer das Klischee eines exzentrischen Briten vorstellt. Heute lacht keiner mehr. Johnson ist die Gallionsfigur der Leave-Bewegung geworden. Also derer, die nichts lieber wollen als raus aus der verhassten Europäischen Union.

Seine Reden sind so scharfzüngig wie unfair. Johnson operiert gerne mit nicht ganz richtigen Zahlen. Mit seiner Behauptung etwa, die Briten zahlten pro Woche 350 Millionen britische Pfund - etwa 460 Millionen Euro - an die EU, macht die Leave-Bewegung landesweit mobil. Nach seriösen Rechnungen zahlen die Briten unterm Strich tatsächlich nur gerade mal die Hälfte der Summe.

Unklar ist, ob Johnson tatsächlich so ein überzeugter EU-Gegner ist. Oder ob er einfach nur Karriere machen will. Ziel: 10 Downing Street, der Sitz des britischen Premierministers. Die Weichen hat er gestellt. Seit Mai 2015 sitzt er für seinen Wahlkreis "Uxbridge und South Ruislip" im Unterhaus, dem britischen Parlament. Eine Grundvoraussetzung dafür, in das höchste Regierungsamt aufzusteigen. Seinen Job als Londoner Bürgermeister hat er mit der Wahl am 6. Mai 2016 aufgegeben. Gewinnen die Brexit-Befürworter am 23. Juli, Premier David Cameron wäre stark beschädigt. Johnson wäre aus heutiger Sicht sein natürlicher Nachfolger.

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Pro Europa:David Cameron

David Cameron and Sadiq Khan campaign in London

Quelle: dpa

Geboren am 9. Oktober 1966 in London

Vorsitzender der Conservative Party

Status: Premierminister in Doppelrolle

Einer seiner Vorfahren, König William IV., war ein schroffer Gesell, der auch im höchsten Staatsamt nicht die Unart lassen konnte, wo er stand und ging auf den Boden zu spucken. Außerdem war William IV. auch König von Hannover. Heute ist die Frage, ob David Cameron (im Foto rechts, neben Londons neuem Bürgermeister Sadiq Khan) lieber an die Unflätigkeiten seines Ahnen oder an dessen Verbindungen zu Deutschland erinnert werden möchte. Unter den Brexit-Befürwortern ist Deutschlands starke Stellung in der EU ein gewichtiges Argument dafür, die EU möglichst schnell zu verlassen. Cameron galt schon unter seinen Professoren als Konservativer mit gemäßigten und vernünftigen Ansichten. Dennoch kam er nicht umhin, den Briten im Wahlkampf 2015 ein Referendum über den Verbleib in der EU zu versprechen.

So steckt er also in der Zwickmühle, das Referendum möglich gemacht zu haben. Und gleichzeitig dafür zu werben, dass sein Land in der EU bleibt. Mitte Februar hat er die anderen EU-Staaten dazu gebracht ein paar Reformen zugunsten der Briten anzunehmen. EU-Ausländer sollen etwa erst nach vier Jahren Aufenthalt vollen Anspruch auf Sozialleistungen bekommen. Und Kindergeld wird nur noch unter erschwerten Bedingungen ausgezahlt, wenn die Kinder im EU-Ausland leben. Den Durchbruch in den Debatten hat das alles nicht gebracht. Zumal seine Conservative Party in der Frage zutiefst gespalten ist. Und er selbst jahrelang die EU zumindest mitverantwortlich gemacht hat für jeden Mist, der auf seiner Insel passiert ist. Sein schlimmster Gegner in der EU-Frage ist sein Parteifreund Boris Johnson. Steigt Großbritannien nach dem Referendum aus der EU aus, dürfte es Cameron schwer haben, seine politische Karriere fortzusetzen.

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Pro Brexit:Michael Gove

Michael Gove Departs His London Home

Quelle: Getty Images

Geboren 26. August 1967 in Edinburgh

Mitglied der Conservative Party

Status: Kampagnen-Chef

Fast wäre der britische Justizminister über das englische Wörtchen "all" gestolpert, alle. Als nämlich Anfang März das britische Boulevard-Blatt The Sun titelte, die Queen unterstütze einen Brexit, da musste er sich fragen lassen, ob die Sun diese brisante Informationen nicht auch von ihm hatte haben können. Das Blatt berief sich auf ein Mittagessen mit der Queen im Jahr 2011, an dem auch Gove teilgenommen hatte. Gove sagte dazu, die Sun habe nicht "alle" Informationen von ihm bekommen. Also doch einen Teil?

Nur mit Mühe konnte er sich danach im Amt halten. Und hätte er seinen Ministerposten verloren, wäre er wohl auch nicht mehr tragbar gewesen als Chef der offiziellen Leave-Kampagne, der er jetzt zusammen mit Gisela Stuart von der Labour Party ist. Gove ist der real existierende Beweis, wie zerrissen die Conservative Party in dieser Frage ist. Während Premierminister Cameron für den Verbleib in der EU trommelt, stellt sich sein eigener Justizminister an die Spitze der Kampagne der EU-Gegner. In Deutschland wäre das undenkbar. Aber die Briten ticken da dann doch etwas anders.

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Pro Brexit:Gisela Stuart

Boris Johnson And Gisela Stuart Aboard The Leave Campaign Bus

Quelle: Getty Images

Geboren am 26. November 1955 in Velden/Niederbayern

Mitglied der Labour Party

Status: die Deutsche unter den EU-Gegnern

Gisela Gschaider wollte ja nur ihr Englisch verbessern, als sie 1974 nach dem Realschulabschluss nach England ging. Ein Jahr, nachdem Großbritannien Mitglied der damaligen Europäischen Gemeinschaft wurde. Sie studierte in London Betriebswirtschaft und Jura. Sie verliebte sich, heiratete Robert Scott Stuart. Und blieb einfach, machte sogar politische Karriere. 1997 eroberte sie den Wahlkreis "Birmingham Edgbaston", bis dahin eine Bastion der Konservativen. Bis heute hat sie den Wahlkreis immer verteidigen können. Zwischendurch war sie mal parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium.

Ihre Partei hat sich eigentlich auf die Seite der Pro-Europäer gestellt. Das hinderte Gisela Stuart aber nicht daran, zusammen mit dem konservativen Justizminister Michael Gove die Leitung der Leave-Kampagne zu übernehmen. Stuart hat sich als Mitglied des europäischen Verfassungskonventes durchaus mit EU-Fragen befasst. Ihre Lösungsvorschläge sind zuweilen allerdings etwas hart. Im Zuge der Euro-Krise legte sie nicht etwa den Griechen den Austritt aus der Euro-Zone nahe. Sondern Deutschland.

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Pro Europa:Stuart Rose

Stuart Rose Launches The Stronger In Europe Campaign

Quelle: Getty Images

Geboren am 17. März 1949 in Gosport, Hampshire

Mitglied der Conservative Party

Status: Fehlbesetzung

Er müsste der Eisbrecher sein auf dem zugefrorenen Meer einer euroskeptischen Nation. Der Mann, der die britischen Massen für die europäische Sache begeistert. Stuart Rose leitet schließlich die offizielle Pro-Europa-Kampagne, Motto: "Britain Stronger In Europe", Großbritannien stärker in Europa. Rose ist damit quasi der Chefanwalt der Pro-Europäer. Der frühere Vorstandschef der Modekette Marks&Spencer ist dafür allerdings erstaunlich still. Manche EU-Freunde wünschen sich inzwischen gar, dass er noch stiller gewesen wäre.

In einem Interview mit dem Fernsehsender Sky hat er es geschafft, den Kampagnen-Slogan viermal falsch aufzusagen. Einmal hieß er "Stay in Britain", bleib in Großbritannien, dann "Better in Britain", dann nochmal "Better in Britain". Und schließlich "Better stay in Britain". Das alles in weniger als 15 Sekunden. Ein andermal gab er den EU-Gegnern eine Steilvorlage als er anmerkte, ein Austritt könne durchaus dafür sorgen, dass die Löhne auf der Insel steigen. Ende Februar bemerkte Rose in einer Diskussionsrunde, Schweden habe wirklich außerordentlich schlechte Handelsabkommen mit der EU geschlossen. Nun, Schweden ist EU-Mitglied, es braucht keine Handelsabkommen. Es dauerte etwas, bis allen klar wurde, Rose meinte die Schweiz.

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Pro Brexit:Iain Duncan Smith

David Cameron Makes The Case To Remain In The EU To Faisal Islam On Sky News

Quelle: Getty Images

Geboren 9. April 1954 in Edinburgh

Mitglied der Conservative Party

Status: Katholischer Quertreiber

Ein CDU-Arbeitsminister, der zurücktritt, weil ihm die Ausgaben für Bedürftige zu sehr gekürzt worden sind? In Großbritannien gibt es auch das. Iain Duncan Smith, Mitglied der Conservative Party, hat am 18. März diesen Jahres als Minister für Arbeit und Rente hingeworfen, weil ihm der Finanzminister die Sozialleistungen für Behinderte um einige Millionen Pfund gekürzt hat. Betroffen sind davon etwa 600 000 Briten. Der bekennende Katholik (eher selten in Großbritannien) fand das auch deshalb ungerecht, weil der aktuelle Haushalt der Cameron-Regierung einer sei, der Besserverdienende noch reicher machen soll. Die Konservativen müssten lernen, dass sie, wenn sie regierten, für das ganze Volk da seien, gab er seiner Partei noch mit auf den Weg.

Allerdings, und das gehört wohl auch zur Wahrheit, verteidigte er einmal Kürzungen der Sozialhilfe mit den Worten, er könne problemlos von 53 Pfund pro Woche leben. Jetzt kämpft er, der Anfang des Jahrtausends für zwei Jahre Parteivorsitzender war, in der Leave-Bewegung für den Austritt Großbritanniens aus dem Euro. Mit seinem Euroskeptizismus war Smith schon dem Pro-Europäer und Thatcher-Nachfolger im Premiers-Amt John Major auf den Keks gegangen. Aber eine anti-europäische Attitüde ist im Inselreich kein Grund, Karrierepläne zu begraben.

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Pro Europa:George Osborne

George Osborne Warns Of The Effects Of A Brexit On Pensions

Quelle: Getty Images

Geboren am 23. Mai 1971 in London

Mitglied der Conservative Party

Status: Zahlenkenner

Nun, er sollte es wissen. Alles zumindest, was mit Geld und Europäischer Union zu tun hat. Premier Cameron hat Glück, dass sein Finanzminister - seit 2010 im Amt - nicht ausgerechnet zum Leave-Lager gehört. Schatzkanzler George Osborne hält zur EU. An ihm ist es, die angeblichen Zahlen und Fakten der EU-Gegner richtigzustellen. Wegen seiner erfolgreichen Spar-Politik hat ihn die Tageszeitung The Times zum "Briten des Jahres 2013" gewählt. Cameron hat ihn schon zu seinem einzig möglichen Nachfolger im Amt des Premierministers ausgerufen. Ignorierend, dass ein gewisser Boris Johnson in den Startlöchern steht.

Wie auch immer, Osborne soll der Pro-Kampagne die Daten liefern, die den Briten Angst vor einem Austritt machen: mehr Arbeitslose, höhere Kosten, schrumpfende Wirtschaft. Großbritannien werde in eine selbstgemachte Rezession schlittern, sollten die Briten für den EU-Austritt votieren, warnte Osborne. Das scheint anders als manche Prognose der Leave-Bewegung nicht ganz aus der Luft gegriffen zu sein.

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Pro Brexit:Nigel Farage

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Quelle: AFP

Geboren am 3. April 1964 in London

Vorsitzender der Ukip, der United Kingdom Independence Party

Status: Game Changer

Nigel Farage lässt sich sicher viel vorwerfen. Nicht aber, dass er aus seiner europa-skeptischen Haltung je einen Hehl gemacht hätte. Als 1992 Premierminister John Major die Maastricht-Verträge unterschrieb, trat Farage aus Protest aus der Conservative Party aus. Ein Jahr später gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der rechtspopulistischen United Kingdom Independence Party, der Ukip. Einziges Ziel: "Better Off Out", besser raus aus der EU. Farage bestreitet heute zwar einen wesentlichen Teil seines Einkommens vom Geld europäischer Steuerzahler. Er sitzt seit 1999 für die Ukip im Europaparlament. Das bremst ihn aber nicht in seinen Zielen.

2006 übernahm er den Parteivorsitz. Seitdem wird die Ukip immer erfolgreicher. Die Europawahl 2014 schloss die Ukip von Farage mit 28 Prozent der britischen Wählerstimmen ab. Stärkste Kraft. Nicht zuletzt dieser Erfolg zwang Premierminister David Cameron zu dem Versprechen, den Verbleib in der EU von einem Votum seiner Landsleute abhängig zu machen. Farage gilt als brillanter und scharfzüngiger Redner, meist mit der rechten Hand in der Jackettasche.

Manchmal treibt er es zu weit. Dem früheren belgischen EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy bescheinigte er einmal das "Charisma eines feuchten Lappens". Er habe das "Erscheinungsbild eines untergeordneten Bankangestellten". Farage musste dafür 3000 Euro Geldbuße zahlen. Farage ist das Schmuddelkind in der Leave-Bewegung, mit dem die anderen nicht spielen wollen. Das hat er selbst erkannt. Jeden Tag würde sie erklären, er sei "toxic", giftig. Er würde Wähler abhalten, für den EU-Austritt zu stimmen. Seine eigene Rolle sieht Farage naturgemäß anders. Er hat schließlich quasi im Alleingang das Referendum erzwungen. Spielt er nun eine gewichtige Rolle in diesem Spiel?, fragt er. Seine Antwort: "Yes, I do, of course I do." - "Ja, die habe ich, natürlich habe ich die."

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Pro Europa:Jeremy Corbyn

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Quelle: AP

Geboren am 26. Mai 1949 in Chippenham, Wiltshire

Vorsitzender der Labour Party

Status: Nicht Fisch, nicht Fleisch

Er hat sich lange geziert, sich für eine Seite zu entscheiden. Das ist nicht ganz glücklich. Jeremy Corbyn ist schließlich Vorsitzender der sozialdemokratischen Labour Party. Eine eher pro-europäische Partei. Das hat dann auch Corbyn verstanden. Inzwischen reist er im Bus durch das Land und wirbt für einen Verbleib in der EU. Selbstverständlich war das nicht. Corbyn, seit vergangenem September im Amt, ist mehr demokratischer Sozialist als Sozialdemokrat, eine männliche Sahra Wagenknecht. Lichtjahre von den Positionen eines Tony Blair entfernt. Auf die Nato könnte er verzichten. Sozialdemokratische Realpolitiker sind ihm suspekt. Die von Cameron gestützte Sparpolitik in der Europäischen Union lehnt er ab. Die EU ist für ihn mehr ein Großclub des Neoliberalismus.

Ein überzeugter Europäer war Corbyn also nie. Als die Briten 1975 zum ersten Mal über den Verbleib in der damaligen Europäischen Gemeinschaft abstimmten, votierte er für den Austritt. Jetzt lässt er sich sogar an der Seite seines glücklosen Vorgängers Ed Miliband sehen, um für die EU zu trommeln. Ihnen wird eine gewisse gegenseitige Ablehnung nachgesagt. Beide waren nicht mehr zusammen gefilmt worden, seit Miliband als Spitzenkandidat seiner Partei die Wahl 2015 vergeigt hatte.

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Pro Europa:Alan Johnson

Labour In For Britain Bus Tours The North East

Quelle: Getty Images

Geboren am 17. Mai 1950 in London

Mitglied der Labour Party

Status: Analyst

Er war der letzte Innenminister einer Labour-Regierung. Sieben Jahre gehörte Alan Johnson dem Kabinett an. Nach der Niederlage 2010 tauchte er erstmal ab. Jetzt aber ist er zurück, als Leiter der Labour-eignen Pro-Europa Kampagne "Labour In for Britain". Johnson hat einen nüchtern-analystischen Blick auf die Abstimmung. Dem Guardian sagte er, die Pro-Europäer hätten sicher den besten Songtext, aber es fehle noch die richtige Melodie. Oder anders gesagt: Die Leave-Bewegung emotionalisiert das Thema EU-Austritt wesentlich besser.

"Take back control", lautet einer ihrer markigen Sprüche, die Briten müssten sich die Kontrolle über ihr Land zurückholen. Das zieht. Die Pro-Kampagnen haben dem kaum etwas entgegenzusetzen. Mit den üblichen Argumenten der europäischen Solidarität kommen die Remain-Befürworter kaum voran. Auch wenn Johnson nur die Labour-eigene Kampagne führt und nicht etwa die Offizielle "Britain stronger in Europe"-Kampagne, seine Rolle ist nicht zu unterschätzen. Er muss die Anhänger der Labour-Party mobilisieren. Bleiben die Linken-Wähler zu Hause, tritt Großbritannien aus der EU aus, prophezeit der Guardian. Es wird Zeit, dass Johnson dafür so langsam mal den richtigen Sound findet.

© SZ.de/gal
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