EU: Rede zur "Lage der Union":Präsident Barroso stellt sich gegen EU-Regierungen

"Gemeinsam schwimmen oder einzeln untergehen": Kommissionspräsident Barroso beschwört die Zusammenarbeit der EU-Staaten - und kündigt Vorhaben an, die den Mitgliedern gar nicht schmecken werden.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso geht auf Kollisionskurs zu den Regierungen der 27 EU-Staaten. In seiner ersten Rede "zur Lage der Union" kündigte er am Dienstag vor dem Europaparlament in Straßburg eine Reihe politischer Initiativen an, die erhebliche Konflikte mit verschiedenen Regierungen auslösen dürften.

Barroso belebte die Diskussion um die Einführung von "EU-Steuern" mit der Mitteilung, er werde ein System vorschlagen, wonach die EU künftig vor allem mit "Eigenmitteln" statt der bisherigen Überweisungen aus den nationalen Haushalten finanziert werde.

Er sprach sich für die von vielen Regierungen abgelehnte Schaffung von EU-Anleihen aus, mit denen Infrastrukturvorhaben finanziert werden sollten. Noch in diesem Herbst werde die Kommission Vorschläge für die ebenfalls von mehreren Regierungen abgelehnte Steuer auf Finanztransaktionen machen.

Außerdem bedauerte er, die EU werde ohne gemeinsame Verteidigungspolitik - die unter anderem von Staaten wie Österreich und Irland abgelehnt wird - kein ausreichendes politisches Gewicht in der Welt haben.

Für Europa sei nun die "Stunde der Wahrheit" gekommen, mahnte Barroso, der ein halbes Jahr nach Amtsantritt seines neuen Teams eine erste Bilanz zog und den Abgeordneten seine Schwerpunkte für das kommende Jahr erläuterte. Angesichts der Wirtschaftskrise müsse die EU zeigen, dass sie mehr sei als 27 unterschiedliche nationale Lösungen: "Entweder wir schwimmen zusammen oder wir gehen einzeln unter." Notwendig seien gemeinsame Maßnahmen zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums und der Verbesserung des Binnenmarktes.

Barrosos Absichten wurden von den großen Parteien im Parlament grundsätzlich begrüßt, doch meldeten verschiedene Sprecher Zweifel an der Umsetzbarkeit an. "Sie werden drei Viertel der Ratsmitglieder gegen sich haben, wenn Sie über Eigenmittel reden", sagte der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende Martin Schulz.

Erbitterter Widerstand aus Berlin gegen EU-Steuer

Ebenso wie Daniel Cohn-Bendit (Grüne) und Guy Verhofstadt (Liberale) kritisierte auch Schulz, dass Barroso der "sich bildenden Direktorialregierung unter deutsch-französischer Führung" nicht entschlossen genug entgegengetreten sei. Cohn-Bendit sagte, seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages gebe es einen Kampf um dessen Interpretation. Viele Regierungen wollten mehr selbst entscheiden, Parlament und Kommission wollten jedoch mehr gemeinschaftliche Entscheidungen. "Ich bin für die Gemeinschaftsmethode", versicherte Barroso. "Das Beste ist es, wenn die Kommission ihr Vorschlagsrecht wahrnimmt."

Das derzeitige Finanzierungssystem der EU, das auf Überweisungen der Mitgliedstaaten beruht, sei "an seine Grenzen gestoßen", sagte er. Die Kommission werde ein "faireres und effizienteres System" für mehr Eigenmittel vorschlagen. "Nicht alle werden unseren Ideen zustimmen. Ich finde es ungewöhnlich, dass manche sie bereits zurückweisen, ohne zu wissen, worum es genau geht", sagte Barroso.

Erst vor vier Wochen war ein Vorschlag von Haushaltskommissar Janusz Lewandowski zur Schaffung einer EU-Steuer auf erbitterten Widerstand unter anderem aus Berlin gestoßen. Lewandowski hatte eine Steuer auf Finanztransaktionen sowie auf CO2-Emissionen ins Gespräch gebracht. Große Infrastrukturvorhaben könnten gemeinsamen mit der Europäischen Investitionsbank mit EU-Anleihen finanziert werden, sagte Barroso. Solche Euro-Bonds sind bisher von vielen Regierungen stets abgelehnt worden, weil sie der Kommission und damit der EU eine eigene Rolle auf den Finanzmärkten verschaffen könnten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: