EU-Ratsvorsitz für Irland:Präsidentschaft der Sparsamkeit

Irland Ratsvorsitz Europäische Union

Irland, der Musterschüler unter den europäischen Krisenländern, übernimmt Ratsvorsitz der Europäischen Union.

(Foto: AFP)

Leitungswasser statt Mineralwasser, Fahrräder statt Limousinenservice: Irland, das Musterland unter den Krisenstaaten, übernimmt ab heute den Ratsvorsitz in der Europäischen Union. Dabei möchte sich Dublin auch als Vorbild in der Gemeinschaft beweisen.

Von Andreas Oldag und Christian Zaschke, London

Dass es den Iren wirklich ernst ist mit dem Sparen, werden die europäischen Diplomaten im kommenden Halbjahr unmittelbar zu spüren und zu schmecken bekommen. Irland übernimmt heute den Ratsvorsitz der Europäischen Union, was heißt, dass das kleine Land innerhalb von sechs Monaten etwa 1600 Sitzungen leiten muss, von denen 180 in Irland stattfinden. Zwar ist das Dublin Castle für diese Anlässe für etwa drei Millionen Euro renoviert worden, aber ansonsten wird es eine Präsidentschaft der Sparsamkeit.

2013 feiert Irland zudem den 40. Jahrestag des EU-Beitritts. 1973 hatten 83 Prozent der Iren für den Beitritt gestimmt, und trotz der aktuellen Krise ist das Land noch immer durch und durch europafreundlich. Zum siebten Mal übernehmen die Iren den Vorsitz des Rats und geben diesmal etwa 60 Millionen Euro dafür aus; als sie den Vorsitz zuletzt 2004 innehatten, waren es noch 110 Millionen Euro.

Gespart wird unter anderem dadurch, dass es zwischen den Tagungsorten nur einen eingeschränkten Limousinenservice gibt - die Delegierten sollen zu Fuß gehen oder bereitgestellte Fahrräder benutzen. Statt Mineralwasser wird es bei den Sitzungen lediglich Leitungswasser geben. Das mag etwas arg demonstrativ wirken, aber den Iren ist es mit dieser Form des Sparens im Kleinsten vollkommen ernst. "Wir wissen, dass unsere Probleme nicht einfach verschwinden, wenn wir abwarten", sagt Ministerpräsident Enda Kenny, "wir müssen sie selbst lösen." Wegen solcher Sätze und wegen ihres ausgeprägten Sparwillens gelten die Iren als Musterschüler unter den europäischen Krisenländern.

Bankrott abgewendet

Mehr als zwei Jahre ist es her, dass Irland unter den 67,5 Milliarden Euro schweren Rettungsschirm von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) schlüpfen musste. Das Platzen einer gigantischen Immobilienblase und die folgende Bankenkrise hatten in Rekordzeit aus dem einstigen "keltischen Tiger" einen Bittsteller gemacht. Seitdem hat die Regierung Sozialleistungen ebenso drastisch gekürzt wie Ausgaben für Schule und Bildung. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 14,6 Prozent. Doch die Sparanstrengungen scheinen sich zumindest in einer Hinsicht zu lohnen: Die Regierung hofft, nach Auslaufen der Rettungszahlungen im neuen Jahr wieder regelmäßig zu tragbaren Zinsen Geld an den Kapitalmärkten aufnehmen zu können.

"Noch vor anderthalb Jahren gab es die Ansicht, dass Irland auf dem besten Wege ist, bankrott zu gehen. So gesehen ist der Fortschritt ziemlich beachtlich", sagt John McHale, Wirtschaftsprofessor an der irischen Nationaluniversität in Galway. Nach wie vor gebe es aber große Risiken, der weiter bestehende Unsicherheitsfaktor sei das Wirtschaftswachstum, meint McHale. Die EU-Kommission schätzt das Wirtschaftswachstum im Jahr 2012 auf 0,4 Prozent. Fürs kommende Jahr rechnet Brüssel mit einem Anstieg des irischen Bruttosozialprodukts um 1,1 Prozent.

Partys für Rothaarige und Guiness-Fans

Neben dem Sinn fürs Sparen haben die Iren mittlerweile auch einen Sinn fürs Geldeintreiben entwickelt: Kennys Regierung will die Millionen zählende irische Diaspora anzapfen. Diese soll durch neue touristische Attraktionen in das Land ihrer Väter und Großväter gelockt werden. Unter dem Motto "The Gathering" (das Treffen) will das irische Transport- und Touristik-Ministerium im kommenden Jahr allerlei Events initiieren. Darunter ist ein eher skurriles Festival der Rothaarigen ebenso wie eine große Party von Guinness-Fans. "Unser Ziel ist es, 325.000 zusätzliche Besucher anzulocken", sagte Gathering-Direktor Jim Miley der Financial Times.

Weltweit haben etwa 70 Millionen Menschen irische Wurzeln. Viele hatten die Insel infolge von Hungersnöten im vorvergangenen Jahrhundert verlassen. Doch die Iren fühlen sich ihrer einstigen Heimat auch heute noch verpflichtet. Schon in den vergangenen Jahren haben reiche Sponsoren, vor allem aus den USA und Kanada, das krisengeschüttelte Land mit Spenden, aber auch mit Investitionen unterstützt. Irland kann jeden Euro gebrauchen, der die heimische Wirtschaft ankurbelt.

Sechster Sparhaushalt in Serie

Im Dezember legte die Dubliner Regierung ihre Pläne für ein neues Sparpaket im Umfang von 3,5 Milliarden Euro vor. Für Irland ist es der sechste Sparhaushalt in Serie. Das Land müsse sein Haushaltsdefizit unter die von der Euro-Zone auferlegte Grenze von drei Prozent drücken, sagt Finanzminister Michael Noonan. Irland erwartet in diesem Jahr ein Defizit von 8,2 Prozent. 2013 soll es 7,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen.

Der soziale Preis für die strikten Spar- und Kürzungsmaßnahmen und die verhaltene wirtschaftliche Erholung ist hoch. Irlands größte Wohltätigkeitsorganisation, die Gesellschaft von St. Vincent De Paul, erhielt nach eigenen Angaben allein in der vergangenen Woche etwa 6000 Telefonanrufe von Menschen in Not. Davon hätten zwischen 30 und 40 Prozent erstmals angerufen. Bislang hat es allerdings keine gewalttätigen Sozialproteste gegeben wie zum Beispiel in Griechenland. Das könnte auch daran liegen, dass Auswanderung immer noch als eine Art soziales Ventil funktioniert: Seit Beginn der Wirtschaftskrise haben pro Jahr 87.000 Iren ihre Heimat verlassen. Nun sollen die Auswanderer als Touristen dazu beitragen, dass es der Insel bald wieder wirtschaftlich besser geht.

Außenminister Eamon Gilmore sagt, dass Irlands Probleme ein Spiegelbild der Probleme der EU seien. Wenn es nun Irland dank seiner Sparmaßnahmen gelänge, den Rettungsschirm 2013 zu verlassen, dann könne das Land im Jahr der Präsidentschaft ein Vorbild für die gesamte Gemeinschaft sein. Auch die Europaministerin Lucinda Creighton knüpft an den Ratsvorsitz große Hoffnungen. In einem Gastbeitrag für den Irish Independent schrieb sie: "Die anstehenden Treffen und Entscheidungen sollen die Zukunft besser machen als die Gegenwart. Wenn unsere Präsidentschaft einen bedeutenden Beitrag zu diesem Ziel leisten kann, haben wir gute Arbeit geleistet."

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