EU-Ratspräsidentschaft:Präzedenzfall Ungarn: Es geht um Europas Freiheit

Das neue Mediengesetz der ungarischen Regierung ist ein Angriff auf einen Grundpfeiler der Demokratie und löst zu Recht Proteste aus. Wenn die EU nicht reagiert und ein Verfahren gegen Budapest eröffnet, wird es gefährlich: Europa verlöre seine Glaubwürdigkeit nach außen und seinen Zusammenhalt nach innen.

Martin Winter

Die Europäische Union hat ein Problem, und das heißt Ungarn. Am 1. Januar 2011 übernimmt Ungarn die Präsidentschaft der EU, ein Land, dessen politische Führung sich gerade von Europa abwendet. Das neue Mediengesetz, mit dem die Pressefreiheit im Land der Magyaren faktisch erlegt wird, verletzt den Kernbestand der europäischen Werteordnung. Bleibt es bei diesem Gesetz und wird nichts dagegen unternommen, dann könnte das gefährliche Beispiel Schule machen. Denn Viktor Orbán, der starke Mann in Budapest, ist nicht der einzige Staats- oder Regierungschef, dem die freie Presse ein Dorn im Auge ist.

Demonstration against a new media law to be passed by parliament

Mit leeren Plakaten protestieren Ungarn gegen das umstrittene Mediengesetz. Zuvor waren bereits einige Zeitungen mit leeren Titelseiten erschienen.

(Foto: dpa)

Es geht also nicht nur um Ungarn, sondern um Europa und um die Freiheit. Wie wenig Orbán von beidem versteht, zeigt er, wenn er Kritiker seines Mediengesetzes mit den Worten verhöhnt, dass ihm das "westliche Echo" kein Zittern in den Knien bereite. Antiwestliche Ressentiments gegen Kritiker der eigenen, nationalistisch geprägten Politik zu mobilisieren, haben schon andere in Osteuropa versucht, die nach dem Ende des Kalten Krieges zur EU gestoßen sind. Funktioniert hat das weder in Polen noch in Tschechien. Trotzdem begibt Ungarn sich auf diesen gefährlichen Irrweg.

Ungarn übersieht dabei, dass es mit dem Beitritt zur Nato und zur EU selber Teil des Westens geworden ist. Der Westen ist nun mal keine geografische, sondern eine politische Bestimmung. Zum Westen gehören: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Freiheit, auch Pressefreiheit. Ungarn ist vor sechs Jahren aus freien Stücken Mitglied der EU geworden und hat sich damit diesen Werten verpflichtet.

Selbst wenn wirtschaftlicher Fortschritt und wachsender Wohlstand im Zentrum europäischen Mühens stehen, sind sie nur Mittel zur europäischen Einigung. Deren Zweck ist es, durch die allgemeine Gültigkeit von Demokratie und Menschenrechten einen friedlichen Kontinent zu schaffen. Denn Demokratien führen im Allgemeinen keine Kriege gegeneinander.

Alle Mitglieder sind den Werten verpflichtet

Die Werteordnung der Europäischen Union wirkt aber nur dann, wenn sich alle Mitgliedsländer daran halten. Das ungarische Mediengesetz ist deswegen eine innere Angelegenheit ganz Europas. Frankreich wurde im Sommer für die Behandlung von Roma mit gutem Grund zur europäischen Rechenschaft gezogen. Der Fall Ungarn muss genauso, wenn nicht gar noch dringlicher unter die Lupe genommen werden.

Denn ging es in Frankreich um das rechtswidrige Einschränken der Freizügigkeit europäischer Bürger, was schlimm genug ist, handelt es sich bei dem von Viktor Orbán durchgesetzten Presserecht um einen direkten Angriff auf einen der Grundpfeiler der Demokratie. Die Europäische Union muss nicht hilflos zusehen, was in Budapest vor sich geht. Sie hat auch die Instrumente zum Eingreifen.

Als vor mehr als einem Jahrzehnt die rechtsextreme Haider-Partei in die österreichische Regierung eintrat, da schwante den Europäern bereits, dass europäische Demokratie und Freiheit keine Selbstläufer sind. Um die Union vor einem Rückfall in puren Populismus und Nationalismus schützen zu können, bauten sie den Artikel 7 in die Verträge ein. Danach kann ein Land, in dem die "eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung" der gemeinsamen Werte besteht, zur Ordnung gerufen und im schlimmsten Fall mit Strafen bis hin zum Entzug des Stimmrechts belegt werden. Man bräuchte den Vertrag also nur in die Hand zu nehmen.

Feigheit vor dem Freund

Aber sowohl die EU-Kommission, die "Hüterin der Verträge", als auch der Europäische Rat verharren seit Tagen in einem Schweigen, das sich nicht allein durch die Weihnachtspause erklären lässt. Was Orbán vorhatte, war seit Wochen bekannt.

Demonstration against a new media law to be passed by parliament

In Ungarn ist die Pressefreiheit in Gefahr: Diese beiden demonstrieren am 20. Dezember im Zentrum der Hauptstadt Budapests gegen das neue Mediengesetz der Partei Fidesz unter Premier Viktor Orbán.

(Foto: dpa)

Beißhemmung in Brüssel

Die Beißhemmung in Brüssel mag daher rühren, dass Orbán und seine mit einer Zweidrittelmehrheit herrschende Regierungspartei Fidesz der EVP angehören, dem Zusammenschluss der christlich-konservativen Parteien in Europa. Diese stellen nicht nur die meisten Regierungen in der EU, sondern auch den Präsidenten der Kommission und den des Europäischen Rates.

Nun hat der Vertrag aber neben Kommission und Mitgliedsländern einen dritten Garanten des Artikel 7 bestellt: das Europäische Parlament. Das wäre ohnehin der richtige Ort, einen so gravierenden Fall zu verhandeln. Öffentlich und ohne Absprachen in Hinterzimmern zwischen Regierungen oder in der Kommission. Die Europaabgeordneten könnten den Rat, also die Mitgliedsländer dazu zwingen, ein Verfahren gegen Ungarn zu eröffnen - und sie sollten es tun. Natürlich ist es peinlich, jenes Land mit einem Verfahren wegen Verletzung der europäischen Werte zu überziehen, das jetzt für sechs Monate Europa verkörpern soll.

Noch peinlicher, nein, gefährlicher wäre es, Orbán aus parteipolitischer Rücksicht, aus Feigheit vor dem Freund und aus Furcht vor dem harten Streit mit seinem Anschlag auf die europäischen Werte durchkommen zu lassen. Europa verlöre seine demokratische Glaubwürdigkeit nach außen und seinen Zusammenhalt nach innen. Einer Union, die ihre eigenen Werte nicht verteidigt und sich nicht gegen autokratische und nationalistische Tendenzen stemmt, werden die Europäer den Rücken kehren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: