EU-Personaldebatte:Union der Zwerge

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Die EU ist dabei, ihre Reform im Streit um Posten zu verspielen. Die Regierungschefs wählen die Kandidaten nicht nach Eignung aus - sondern aus parteipolitischem Kalkül. Das gilt auch für Merkel.

Martin Winter

Die Freude über den endlich ratifizierten Lissabon-Vertrag ist kaum abgeklungen, da findet sich die Europäische Union in ihrer grimmen Wirklichkeit wieder. Und die ist nicht überschrieben mit: Aufbruch zu neuen Ufern.

Angela Merkel und ihr Konsenskandidat Günther Oettinger (beide CDU, hier beim Singen der Nationalhymne im September in Freiburg): Im Gegensatz zu geeigneteren Kandidaten ist der ehemalige Ministerpräsident Baden-Württembergs in der richtigen Partei. (Foto: Archivfoto: AP)

Vielmehr tobt ein kleinliches Gezänk um vakante Posten. Die Mitgliedsländer sind dabei, die Möglichkeiten zu verspielen, die der Lissabon-Vertrag bietet. Sie tun alles, um die Welt davon zu überzeugen, dass sie Zwerge sind und Zwerge bleiben wollen.

Wenn Angela Merkel mehr Kompetenzen für multilaterale Organisationen fordert - so geschehen am Tag des Mauerfall-Jubiläums -, dann klingt das hohl, solange die Kanzlerin nicht auch die besten Leute zu diesen Organisationen schickt. Aber Merkel bleibt sich treu. Spitzenpersonal in Brüssel könnte ja der nationalen Regierung einiges an Strahlkraft nehmen. So werden dann eben Leute wie Günther Oettinger als deutscher Kandidat für die EU-Kommission nominiert.

Die Suche nach dem Präsidenten des Europäischen Rates und dem neuen und mächtigeren europäischen Außenminister zieht sich derart quälend dahin, dass der angerichtete Schaden nicht mehr repariert werden kann. Beschädigt wird die Glaubwürdigkeit all jener, die vorgeben, der europäischen Sache dienen zu wollen.

Die Europäische Union muss man nicht ernst nehmen, wenn sie statt der Besten nur Konsenskandidaten an die Spitze stellt, die ohne Kontur und Statur sind, dafür aber pflegeleicht.

Sarkozy vergisst nicht

Nicht nur das Klein-Klein der parteipolitischen und regionalen Zänkereien um die Posten belastet die EU. Wirklich erschreckend sind zwei Erkenntnisse aus den vergangenen Tagen: Zum einen hat in der EU niemand eine Chance auf eine Führungsposition, der wirklich europäisch führen könnte, der also im Sinne einer großen Staatengemeinschaft handelte.

So wurde der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker gar nicht erst in das Rennen um das Amt des Vorsitzenden des Europäischen Rates aufgenommen. Er wäre zwar der Richtige gewesen, weil er nicht nur die größte Erfahrung mit der komplizierten Konsenssuche in der EU hat, sondern auch ein vorzüglicher Vermittler ist. Einer, den die EU dringend bräuchte, den sie aber offensichtlich nicht will, weil er zu stark sein könnte. Juncker hat außerdem den Fehler begangen, Präsident Nicolas Sarkozy einmal auf die Füße gestiegen zu sein. Das vergisst der Franzose nicht.

Es fehlen auch andere Namen, die man erwarten würde, wenn Europa seine Führung auswählt. Allein aus Deutschland fallen zwei für den europäischen Außenminister ein: Joschka Fischer, der die europäische Reformdebatte und die Politik der Erweiterung entscheidend mitgeprägt hat. Oder Frank-Walter Steinmeier, der ebenfalls bereits die Qualitäten bewiesen hat, die man von einem europäischen Außenminister erwarten muss.

Beide haben allerdings ein Problem: Sie sind aus Sicht Angela Merkels in der falschen Partei. Die CDU will selbst einen Kommissar stellen, deshalb wurde Oettinger nominiert. Also verzichtet Deutschland lieber auf den Posten des Spitzendiplomaten.

Achse der Anti-Integrationisten

Im Gerangel um die Ämter offenbart sich auch ein existentielles Problem der EU: Sie ist über ihren Sinn und ihre Zukunft gespalten. Die Einigung auf den Lissabon-Vertrag hat die Gegensätze zwischen den Integrationisten (die ein stärkeres politisches Zusammenwachsen betreiben) und ihren Gegnern nur mühsam übertüncht. Bei der Suche nach dem richtigen Personal bricht der Streit wieder auf.

Unter Führung Polens schlagen sich die osteuropäischen Mitgliedsländer auf die Seite der Schweden und Briten, denen die Vertiefung der EU schon immer ein Dorn im Auge war. Die beharrlich betriebene Kandidatur des britischen Ex-Premiers Tony Blair ist der Versuch dieser Anti-Integrationisten, die europäischen Gründungsländer Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Luxemburg und die Niederlande an einer stärkeren politischen Kooperation zu hindern. Sie wollen die Macht des deutsch-französischen Duos brechen.

In Berlin hat man offenbar vergessen, was man in London und Warschau sehr wohl weiß: Personalfragen sind Machtfragen. Es war unverantwortlich, einfach nur zuzuschauen, wie der gegenwärtige EU-Vorsitzende, der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt, die Personalsuche nur schleppend betrieb. Dabei ist es unerheblich, ob Reinfeldt einfach überfordert war, oder ob er die Interessen der Anti-Integrationisten und die Blairs bediente. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Problem in der EU so lange hin- und hergeschoben wird, bis alle entnervt die Waffen strecken und einem billigen Kompromiss zustimmen. Das könnte dann die Stunde der Anti-Integrationisten werden.

Es ist das Verdienst Angela Merkels, während ihres EU-Vorsitzes den Lissabon-Vertrag durchgesetzt zu haben - ein Dokument, das belegt, wie sehr Europa zusammenwächst. Nun setzt sie ihren Erfolg aufs Spiel, weil sie sich nicht um die Ausführung kümmert. Papier ist geduldig. Seine Kraft entfaltet es erst, wenn es Menschen anvertraut wird, die den Text mit Leben füllen. Dazu gehören jene gewiss nicht, die Europa in seinem Charakter verkehren wollen.

© SZ vom 11.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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