EU-Mission:Innere Führung am Kongo

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Der Kongo-Einsatz könnte der Beginn eines neuen militärpolitischen Kapitels werden, nämlich dessen der Beliebigkeit und Bedenkenlosigkeit. Vieles ist unklar: Was soll eine Hand voll europäischer Soldaten in einem Land leisten, das so groß ist wie Westeuropa?

Joachim Käppner

Die Erinnerung ist in Stein gemeißelt und dennoch nur selten zu finden.

Mission im Kongo: Reise ins "Herz der Finsternis"? (Foto: Foto: dpa)

Man sieht sie hier und dort noch in Dorfkapellen oder an einer Mauer des alten Südfriedhofs in München. "Kurt Graf von Pückler-Limpurg, gefallen in Kamerun 1904".

Oder: "Franz Steigenberger, Reiter. Vermisst in Südwest. 1904".

Es ist die Erinnerung an das erste Afrika-Abenteuer des deutschen Militärs, an die Schutztruppen des wilhelminischen Kaiserreiches in den Kolonien, an das sinnlose Sterben junger Soldaten in fernen Ländern, die nicht die ihren waren.

Nun, ein Jahrhundert später, stehen deutsche Soldaten erneut vor dem Einsatz in Afrika, im Kongo, den Joseph Conrad als "das Herz der Finsternis" beschrieb. Wie keine andere Auslandsmission der Bundeswehr zuvor zeigt diese, wie dramatisch sich das Verhältnis der bundesdeutschen Gesellschaft zu ihrem Militär gewandelt hat - im Guten wie im Schlechten. Vor 15 Jahren noch hätte die Idee, Fallschirmjäger der Bundeswehr in afrikanische Bürgerkriegsstaaten zu schicken, als Ausgeburt militaristischer Phantasien gegolten.

Damals war oft eine düstere Prophezeiung zu hören: Wenn die ersten Bundeswehrsoldaten von Auslandseinsätzen "in Zinksärgen heimkehren", werde die deutsche Gesellschaft dies nicht mitmachen.

Seit 1991 sind 63 deutsche Soldaten im Ausland umgekommen, nicht wenige davon durch Gewalt. Die Gesellschaft aber hat nicht aufbegehrt. Es hat sie nicht einmal sonderlich interessiert.

Abenteuer am großen Fluss

Das ist um so erstaunlicher, weil man in der alten Bundesrepublik immer wieder erbittert über militärische Fragen gestritten hat, von der Wiederbewaffnung über die Wehrpflicht bis zur Nato-Nachrüstung. Verweigern oder nicht: Das war einmal ein Glaubensstreit, der eine ganze Generation junger Männer spaltete; er wurde von der einen Seite der Gesellschaft nicht ohne pazifistisches Eiferertum geführt und andererseits vom Staat durch unwürdige Gewissensprüfungen verschärft.

In der Euphorie der Zeitenwende 1989/90 waren die Deutschen auf nichts weniger gefasst als darauf, dass für ihr Militär der Ernstfall ausgerechnet jetzt beginnen könnte. Noch als die Berge des Balkans brannten, hielten viele Deutsche - auch und gerade jene, die stets die Menschenrechte im Munde führten - die Idee, diese Menschenrechte in Sarajewo und Pristina mit Waffengewalt zu verteidigen, für eine überaus verwerfliche Militarisierung der Außenpolitik.

Diese Art von Realitätsverweigerung betreiben heute nur noch ein paar professorale Friedensforscher und die üblichen Verdächtigen. Die Friedensmissionen sind ausgerechnet unter einer rot-grünen Regierung und spätestens seit Nine Eleven zur außenpolitischen Normalität geworden. Insgesamt stellen sie eine beachtliche Erfolgsgeschichte dar.

"Bewaffnete Entwicklungshilfe"

Und doch droht die Bundeswehr zum Opfer eben dieses Erfolges zu werden. Die Öffentlichkeit nimmt ihn als selbstverständlich hin. Die Politik setzt das Militär ebenso selbstverständlich ein, wenn es ihr opportun erscheint - wie bei der widersprüchlichen und in der Zielsetzung unklaren Kongomission.

Das Abenteuer am großen Fluss könnte der Beginn eines neuen militärpolitischen Kapitels werden, nämlich dessen der Beliebigkeit und Bedenkenlosigkeit. Die großen Einsätze der Bundeswehr heißen Bosnien, Kosovo, Afghanistan; sie haben die Truppe zutiefst geprägt und ihr den Wert von Menschenrechten und Demokratie nachhaltiger nahe gebracht, als jeder Kurs in Staatsbürgerkunde und Innerer Führung in der alten Bundeswehr vor 1990 es gekonnt hätte.

Zehntausende Soldaten haben in vom Krieg verwüsteten Ländern in der Realität erfahren, was vorher Lehrstoff für Theoriestunden war: Militärische Tugenden sind kein Wert an sich, sondern haben nur einen Wert, wenn sie im Dienst einer guten Sache stehen, wenn sie helfen, Feinde auseinander zu halten, Wiederaufbau und Neuanfang zu schützen. So gefährlich diese Einsätze aber waren und sind: Es ging eher um Friedenssicherung, um die militärische Nachsorge von Kriegen, die im Wesentlichen andere, vor allem die Amerikaner führten; um "bewaffnete Entwicklungshilfe", wie Soldaten ihren Job nur halb im Scherz beschreiben.

Beim Kongo-Einsatz freilich ist vieles unklar. Was soll eine Hand voll europäische Soldaten in einem Land leisten, das so groß ist wie Westeuropa? Wie lange werden sie dort wirklich bleiben? Was wird geschehen, wenn sie entgegen aller Beteuerungen doch mit mörderischen Warlords, marodierenden Milizionären, Kalaschnikows tragenden Kindern konfrontiert werden?

Die Bundesregierung ist bei ihrem im Prinzip berechtigten Versuch, die Europäische Union militärpolitisch nicht länger als Papiertiger auftreten zu lassen, aufs Ungeschickteste in diesen Einsatz hineingerutscht. In der Tat spricht ja manches für Kriseninterventionen dort, wo die Krisen anders nicht lösbar erscheinen, also in Afrika. Von den viel beschworenen politischen Richtlinien für Auslandseinsätze ist jedoch im Kongo noch weniger zu spüren als am Hindukusch oder im Tal der Bistrica.

Zudem hat diese Bundesregierung, wie ihre Vorgänger auch, wieder eine neue, Pardon, Front eröffnet, ohne den Wehretat entsprechend zu erhöhen oder gar endlich auf das wesentlich höhere Niveau der großen Nato-Partner zu heben. Kurz: Sie benutzt die Bundeswehr wie eine beliebig einsetzbare Interventionsarmee, behandelt sie aber nicht so. Sie plant immer neue Missionen, während die Truppe in vielen Bereichen der Militärtechnik in die zweite Liga abrutscht.

Die Bundeswehr als Hilfssheriff einer unterbesetzten Polizei

Das könnte sich eines Tages rächen, wenn die Bundeswehr doch einmal an einer großen friedensschaffenden, also gewaltsamen Intervention der Nato oder der UN teilnehmen sollte. Bisher hat sie das vermieden, vom Einsatz einiger Tornado-Flugzeuge im Kosovokrieg 1999 und des Spezialkommandos KSK in Afghanistan abgesehen.

Menschenrechtsorganisationen haben einen solchen internationalen Einsatz schon gefordert, um die Massenmorde im sudanesischen Darfur zu beenden - und dies ist nur einer von mehreren denkbaren Krisenherden der Zukunft. Die deutsche Gesellschaft ist auf solche Szenarien aber in keiner Weise vorbereitet. Und trotz des neuen Weißbuchs werden nicht diese Fragen intensiv erörtert, sondern der absurde Vorschlag der Unionsparteien zum Militäreinsatz im Inland. Er aber würde vor allem darauf hinauslaufen, eine Armee, die ohnehin schon an den Grenzen ihrer Möglichkeiten operiert, zum Hilfssheriff einer unterbesetzten Polizei zu machen.

Es mag also, im schlimmsten Fall, dazu kommen, dass nach der EU-Mission im Kongo neue Epitaphsteine an deutsche Soldaten erinnern, die auf dem fernen Kontinent ihr Leben ließen. Und wenn die Regierung die Frage nicht beantworten kann, wofür das alles nötig war, könnte sich der wohlwollende Gleichmut der Bevölkerung doch noch ins Gegenteil verwandeln. Zumindest was die Zukunft der Auslandseinsätze betrifft, gleicht der Einsatz im Kongo tatsächlich einer Reise in die Finsternis.

© SZ vom 27.5.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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