EU-Kommissionschef:Barroso fordert mehr Macht für Brüssel

Wie kann Europa den Kampf gegen die Schuldenkrise gewinnen? Nach Ansicht von EU-Kommissionspräsident Barroso reichen Rettungsfonds allein nicht aus: Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung pocht er auf mehr Macht für die EU-Kommission in der europäischen Wirtschaftspolitik - denn manche Mitgliedstaaten seien mit ihrer Verantwortung bislang eher schlampig umgegangen.

Cerstin Gammelin, Thomas Kirchner, Stefan Kornelius und Jeanne Rubner

Gut gelaunt erscheint José Manuel Durão Barroso zum Gespräch in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung in München. Der 55 Jahre alte Portugiese ist seit sieben Jahren Präsident der Europäischen Kommission. Nun erklärt der konservative Politiker, wie er in der Schuldenkrise die Führung der 27 europäischen Mitgliedsländer wieder an sich ziehen will.

EU-Kommissionschef: "Wir müssen die Krise mit wahrem Gemeinschaftssinn angehen. Das ist für mich eine conditio sine qua non." EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso während seines Besuchs in der SZ-Redaktion.

"Wir müssen die Krise mit wahrem Gemeinschaftssinn angehen. Das ist für mich eine conditio sine qua non." EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso während seines Besuchs in der SZ-Redaktion.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

SZ: Herr Barroso, Europa ist gerade damit beschäftigt, Rettungsfonds aufzulegen. Aber jeder weiß, dass Geld allein nicht reicht, um die Krise zu meistern. Was muss danach getan werden?

Barroso: Wir sind in der tiefsten Krise der Europäischen Union. Nur wenn sowohl die Regierungen der Mitgliedsstaaten als auch die europäischen Institutionen entschlossen handeln, können wir aus der Krise kommen. Die Euro-Länder werden nur dann wieder glaubwürdig werden, wenn sie enger zusammenrücken und sich endlich diszipliniert an die Regeln halten. Kurzfristig gesehen haben wir bereits einiges getan und beispielsweise die deutlich schärferen Regeln des Stabilitätspaktes verabschiedet. Jetzt müssen wir den erweiterten Euro-Stabilitätsfonds EFSF arbeitsbereit machen. Und danach müssen wir den dauerhaften Mechanismus ESM aktivieren. In einem dritten Schritt sollten wir uns an Pläne für eine stärker koordinierte Wirtschaftspolitik machen, die wir brauchen, um die Eurozone und ganz Europa dauerhaft zu stabilisieren.

SZ: In Deutschland wird heftig darüber debattiert, dass der Rettungsfonds EFSF nicht ausreicht, um im Notfall große Länder retten zu können.

Barroso: Ich empfehle, zunächst das umzusetzen, was schon beschlossen ist, und zwar zügig. Am 21. Juli haben die Euro-Länder den erweiterten EFSF genehmigt, aber er ist immer noch nicht einsetzbar. Genau diese Lieferschwierigkeiten sind es, die uns zu schaffen machen. Sie unterhöhlen unsere Glaubwürdigkeit. Das Warten macht die Märkte nervös. Im Übrigen bin ich sehr froh, dass der Bundestag mit sehr großer Mehrheit dem EFSF zugestimmt und damit ein starkes Zeichen gesetzt hat.

SZ: Sie fordern, das Geld aus dem EFSF effizienter einzusetzen. Was genau meinen Sie?

Barroso: Genau das, was ich sage. Die Mittel sollen effizienter genutzt werden, und wir prüfen mehrere Optionen, wie das gelingen kann. Es ist klug, immer bereit zu sein, vorhandene Kapazitäten auszuschöpfen, um die Krise zu lösen.

SZ: Welche sind das?

Barroso: Das werde ich sagen, wenn die Optionen ausgearbeitet sind . . .

SZ: . . . und der EFSF von allen Staaten genehmigt ist?

Barroso: Da kann ich keine exakte Zeit nennen.

"Europa ist ein partnerschaftliches Unternehmen"

SZ: Sie haben in Straßburg gesagt, Europa habe längst eine Wirtschaftsregierung, nämlich die EU-Kommission. Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy sehen das anders, sie wollen dem Klub der 17 Euro-Länder eine solche Regierung verpassen.

Barroso: Ich teile nicht Ihre Annahme, dass wir hier unvereinbare Gegensätze haben. Europa ist ein partnerschaftliches Unternehmen. Wir haben einen Vertrag, und der gibt der Kommission nicht nur ein Recht, sondern auch die Pflicht, initiativ zu werden. Wir haben die verschärften Regeln für den Stabilitätspakt vorgeschlagen. Nur die Kommission, keine andere Institution und auch keine nationale Regierung kann europäische Gesetze vorschlagen.

SZ: Das ändert aber nichts daran, dass der Merkel-Sarkozy-Vorschlag parallel - oder sollten wir sagen: quer? - zu Ihren Vorstellungen einer Wirtschaftsregierung liegt.

Barroso: Ich spreche nur für die Kommission. Sehen Sie, manche Mitgliedsstaaten gingen bisher eher schlampig mit der Verantwortung um. Manche haben Daten manipuliert, um in die Euro-Zone zu gelangen. In meiner ersten Amtszeit als Kommissionspräsident habe ich vorgeschlagen, die Statistik-Behörde Eurostat zu stärken. Sie sollte die Zahlen, die einzelne Länder nach Brüssel melden, vor Ort prüfen dürfen. Das haben die Mitgliedsstaaten verhindert. Dann, mitten in der Krise, sind sie umgeschwenkt. Die Regeln für eine stabile Eurozone alleine den Mitgliedsstaaten zu überlassen - das wird niemals funktionieren. Deren Regierungen versuchen immer, zu verhandeln. Aus einem simplen technischen Detail wird ein politischer Deal. Es gibt einen guten Grund dafür, dass es unabhängige europäische Institutionen gibt wie die Kommission, den Europäischen Gerichtshof, den Rechnungshof. Sie sind von den Regierungen selbst vorgeschlagen worden.

SZ: Wollen Sie Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy tatsächlich drohen?

Barroso: Wie kommen Sie darauf? Ich sage schlicht: Wir müssen die Krise mit wahrem Gemeinschaftssinn angehen. Das ist für mich eine conditio sine qua non.

SZ: Aber ist die Kommission nicht zu schwach, um die starken Mitglieder zu führen? Sie konnten nicht verhindern, dass die Länder mehr Schulden machten als erlaubt und dass sie die Regeln brechen. Warum sollten sie künftig auf die Kommission hören?

Barroso: Die neuen Regeln verleihen der Kommission mehr Macht. Ihnen haben die Mitgliedsstaaten zugestimmt. Ich glaube auch, dass die Regierungen lernfähig sind und verstanden haben, dass sie ihre Defizite abbauen müssen. Aber das reicht nicht. Wir werden daher in den kommenden Wochen Vorschläge machen für eine stärker koordinierte Wirtschaftspolitik . . .

SZ: . . . der 17 Euro-Länder?

Barroso: Nicht nur für die 17 Euro-Länder, sondern auch die 27 EU-Mitglieder. Die Euro-Länder müssen enger zusammenrücken, besser koordinieren. Aber dies kann nicht unabhängig vom Binnenmarkt passieren. Die Nicht-Euro-Länder sind über den gemeinsamen Markt an die Euro-Länder gebunden. Wir müssen verhindern, dass sich zwischen beiden Gruppen ein Graben auftut, weil sonst der Euro eine wichtige Grundlage verliert. Genau das ist das Ziel einer europäischen Wirtschaftspolitik, deren natürlicher Vertreter die Kommission ist. Es ist außerdem eine Illusion zu glauben, dass sich die Eurozone durch zwei jährliche Treffen der Regierungschefs im Detail wirtschaftspolitisch regieren lässt.

"Europa funktioniert nur mit den Institutionen"

SZ: Dennoch steht die Kommission stets im Schatten der nationalen Regierungen.

Barroso: Es gab schon immer Föderalisten. Und es gab immer jene, die Europa von den Mitgliedsstaaten regieren lassen wollten - das ist aber auch deshalb schwierig, weil die Märkte klare Signale wollen. Wann immer ich außerhalb Europas bin, werde ich nicht nach dem Defizit eines einzelnen Landes gefragt, sondern: Seid Ihr wirklich bereit, Eure gemeinsame Währung zu verteidigen und gemeinsam Wirtschaftspolitik zu machen? Wir sind nur überzeugend, wenn wir starke Institutionen haben. Es geht mir dabei nicht um mehr Macht für die Kommission nur wegen der Macht an sich, sondern weil ich überzeugt bin, dass Europa nur mit den Institutionen funktioniert, nicht gegen sie. Ansonsten setzen wir nicht nur den Euro aufs Spiel, sondern die gesamte Union.

SZ: Sie sagen, die tiefste Krise seit Gründung der Union lässt sich nur mit viel Überzeugungskraft lösen. Wie denn? Ein neuer Konvent, der einen neuen europäischen Vertrag schreibt?

Barroso: Vielleicht brauchen wir einen neuen Vertrag. Er darf aber nicht die unmittelbare Antwort auf die Krise sein. Sonst verzögern wir die Hilfsmaßnahmen. Wir müssen klar überlegen: Was brauchen wir kurzfristig und was langfristig? Der ESM ist mittelfristig ein wichtiger Schritt. Langfristig könnte es eine Änderung des EU-Vertrages sein. Wir sollten jetzt die Krisenmechanismen verabschieden und dann überlegen: Was braucht Europa für die Zukunft?

SZ: Vielleicht einen gemeinsamen Präsidenten?

Barroso: Ich bin mir da nicht sicher. Der jetzt gültige Vertrag von Lissabon bietet derzeit ausreichend Instrumente, um mit der Krise umzugehen. Für die Zukunft gibt es viele Optionen, aber es ist zu früh, um diese auszubreiten. Ich selbst jedenfalls bin für ein vereintes Europa. . .

SZ: . . . also die Vereinigten Staaten von Europa?

Barroso: Ich versuche, diesen Begriff zu vermeiden. Sagen wir lieber: ein vereintes, starkes Europa.

SZ: Würde das die Krise der Glaubwürdigkeit Europas beenden?

Barroso: Glaubwürdig können wir nur sein, wenn es eine klare Führung gibt. Wenn wir unsere gemeinsame Währung behalten wollen, müssen wir akzeptieren, dass wir auch Reformen brauchen. Das müssen wir den Bürgern erklären. Und die Mitgliedsstaaten müssen ihren Bürgern auch erklären, dass Europa nicht nur Brüssel ist, sondern auch Paris, Berlin, München. Im Übrigen betrifft die Vertrauenskrise ja auch die nationalen Politiker. Unsere Umfragen belegen, dass die Menschen Europa mehr vertrauen als ihren jeweiligen Regierungen.

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