EU-Kommission:Junckers Müdigkeit

Der Präsident der EU-Behörde verströmt eine Resignation, die gerade jetzt gefährlich ist für die Union. Dabei hätte er alle Möglichkeiten gehabt. Allein: Die Mitgliedstaaten haben ihm keine Chance gelassen.

Von Daniel Brössler

Noch ist Europa nicht verloren. Vor dem EU-Blau im Brüsseler Berlaymont-Gebäude spricht der Präsident darüber, wie man junge Leute für Europa begeistert und wie verrückt man sein müsse, um zu glauben, der alte Nationalstaat mache ein Land mächtiger als die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Es ist der Österreicher Alexander Van der Bellen, der da so redet mit der Autorität eines pro-europäischen Wahlsiegers. Neben ihm steht derweil EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Jener Mann, der von Berufs wegen für Europa begeistern müsste, der aber mitunter so wirkt, als habe die europäische Malaise ihn im Griff und nicht umgekehrt.

Als Chef der "Kommission der letzten Chance" ist Jean-Claude Juncker einmal angetreten. Nun hat er, hinein in den Brexit-Trump-Blues, noch einmal bekräftigt, dass er 2019 keine zweite Amtszeit will. Das ist weder eine Überraschung noch verwerflich. Dennoch scheint es die resignative Stimmung zu bestätigen, die sich über Brüssel gelegt hat. 2014 war die Wahl Junckers das Ergebnis eines demokratischen Sprungs nach vorn gewesen. Als siegreicher Spitzenkandidat war der Luxemburger ins Berlaymont eingezogen, ausgestattet zumindest mit einem indirekten Mandat der EU-Bürger. Es war eine gute Idee, die große Machtfülle des Kommissionspräsidenten mit mehr Legitimität zu unterfüttern. Daraus ist bisher aber wenig erwachsen, wofür es mehrere Gründe gibt.

Juncker bleibt kraftlos - ein leider bezeichnendes Bild für die EU

Der so scharfsinnige wie scharfzüngige Ironiker Juncker überzeugt im kleineren Kreis. Den Ton für die Massen trifft er nicht. Der Kommissionspräsident knurrt eher, als dass er ködert. Damit fehlt ihm zumindest in der Öffentlichkeit die Basis für sein ambitioniertestes Vorhaben. Eine politische Kommission wollte er führen, die ähnlich einer Regierung der EU eine Richtung gibt. Doch dafür war der Sprung nach vorne zu kurz geraten. Ob er es mag oder nicht: Juncker ist vor allem Behördenchef.

Als Amtsvorsteher klagt er nicht zu Unrecht über die ungesunde Arbeitsteilung, die sich in Jahrzehnten etabliert hat. In ihr versieht die EU-Kommission als institutioneller Sündenbock ihren Dienst. Etliche Staats- und Regierungschefs treiben es so weit, zu Hause zu geißeln, wofür sie in Brüssel die Hand gehoben haben. Sehr wenige Entscheidungen werden in Brüssel gegen den Willen einzelner Mitgliedstaaten getroffen, dennoch können sich die nationalen Regierungen hinter der intransparenten Machtmechanik der EU verstecken, wenn es unpopulär wird.

Junckers Frust über die Mitgliedsstaaten ist also verständlich, aber unproduktiv. Auf verhängnisvolle Weise verkörpert Juncker die Müdigkeit, die einen angesichts der europäischen Probleme überkommen kann. Einerseits braucht die EU unglaublich viel Realismus, um sich mit ambitionierten Plänen nicht tiefer in die Krise zu graben. Andererseits muss enthusiastisch und mit Elan für die europäische Einigung geworben werden. Die Kunst wäre also, mitreißend am Boden zu bleiben. Van der Bellen hat gezeigt, dass es geht.

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