EU-Grenzkontrollen:Kritik an der Speicherung von Daten ohne Anlass

In Brüssel wachsen Zweifel am geplanten Reisesystem für Nicht-EU-Bürger. Dass Gesichter und Fingerabdrücke drei Jahre gespeichert werden, verstößt womöglich gegen EU-Recht.

Von Christian Gschwendtner, Brüssel

Kurz vor der geplanten Abstimmung im Europäischen Parlament wachsen die Zweifel am geplanten Ein- und Ausreisesystem (Entry-Exit-System, EES). Das Milliardenprojekt verstößt womöglich gegen EU-Recht. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls ein neues Gutachten der Universität Luxemburg, das die Grünen in Auftrag gegeben haben. Darin heißt es, dass die anlasslose Speicherung von Gesichtsbildern, Fingerabdrücken und anderen Daten einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte darstelle. Betroffen sind alle Nicht-EU-Bürger, sollte das neue Grenzkontrollsystem wie geplant von 2020 an eingeführt werden.

Aus Sicht der Wissenschaftler lässt sich das nur schwer mit den jüngsten Urteilen des Europäischen Gerichtshofs vereinbaren. Sie verweisen insbesondere auf das Fluggastabkommen zwischen der EU und Kanada, das die Richter in Luxemburg erst im Juli kippten. Der Grund: Daten von Flugreisenden dürften nur über den Reisezeitraum hinaus gespeichert werden, wenn es "objektive Anhaltspunkte" für Terrorgefahr oder schwere Kriminalität gebe. Deshalb muss die EU das Abkommen mit den Kanadiern nun neu aushandeln.

Von dem neuen Einreisesystem erhofft man sich in Brüssel eine effizientere Grenzkontrolle. Vor allem soll verhindert werden, dass Menschen unbemerkt ihr Visum überziehen können. Das allein reiche allerdings nicht als Begründung, um Daten von Nicht-EU-Bürgern anlasslos drei Jahre lang zu speichern, kritisieren die Wissenschaftler. Eine ähnliche Lesart vertrat zunächst auch der Rechtsdienst des EU-Parlaments. Die indirekte Empfehlung an die Abgeordneten: Beim EES soll nachgebessert werden. Doch besonders die konservative EVP-Fraktion dringt auf eine rasche Zustimmung zum aktuellen Gesetzesvorschlag. Sie weigert sich nach wie vor, die für Mittwoch angesetzte Abstimmung von der Tagesordnung zu nehmen. Vermutlich ein Grund, warum der Rechtsdienst noch einmal in veränderter Zusammensetzung in den Parlamentsausschuss zitiert wurde. Plötzlich sei die Einschätzung der Rechtslage ganz anders gewesen, sagt der Grünen-Europapolitiker Jan Philipp Albrecht: "Ein Schelm, wer Böses dabei denkt."

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