EU-Gipfel:Wege aus der Krise

Das K-Wort geht wieder um: Nach dem irischen Nein will die EU möglichst schnell eine Lösung finden. Optionen gibt es mehrere. Doch alle haben ihre Nachteile. Eine Zusammenstellung.

Kathrin Haimerl

Die Europäische Union erlebt ein Déjà-vu: Wieder hat ein Referendum einen mühsam ausgehandelten Vertragsentwurf in Frage gestellt. Auf dem heutigen EU-Gipfeltreffen soll der irische Regierungschef Brian Cowen bei einem Abendessen den Staats- und Regierungschefs erklären, wie es zu dem Scheitern des Referendums über den Lissabonner Reformvertrag kommen konnte. Danach will die EU möglichst schnell eine Lösung finden. Die wichtigsten Optionen und ihre Vor- und Nachteile.

EU-Gipfel: "Respektieren Sie das irische Nein": Abgeordnete vom rechten Rand demonstrieren im Europäischen Parlament dafür, das Votum der Iren auf dem EU-Gipfel ernst zu nehmen.

"Respektieren Sie das irische Nein": Abgeordnete vom rechten Rand demonstrieren im Europäischen Parlament dafür, das Votum der Iren auf dem EU-Gipfel ernst zu nehmen.

(Foto: Foto: AP)

Ein zweites Referendum

Diese Möglichkeit kennen die Iren: Bereits 2001, als sie den Vertrag von Nizza scheitern ließen, wurde eine erneute Abstimmung angesetzt. Allerdings stellt sich die Frage, wie die Regierung dies rechtfertigen würde. Dazu müsste die EU geschlossen zu Bedenken des Landes Garantien abgeben, etwa zur Neutralität, zur Steuerpolitik oder zur Abtreibungsfrage.

Vorteil: Das Vertragswerk hätte weiter die Chance auf Ratifizierung von allen Mitgliedstaaten. 19 Staaten haben dies bereits getan. Acht stehen noch aus. Nachteil: Mit einer größeren Bürgernähe ist die Option eines zweiten Referendums nur schwer vereinbar. So etwa schreibt der Philosoph Jürgen Habermas in der Süddeutschen Zeitung über diese Möglichkeit: "Das ist der pure Zynismus der Macher gegenüber dem verbal bezeugten Respekt vor dem Wähler." Die Gefahr eines zweiten Scheiterns ist weiterhin vorhanden. Bereits im Vorfeld des EU-Gipfels warnte der irische Regierungschef Brian Cowen, es werde keine schnelle Lösung geben. Mit Blick auf seine EU-Kollegen sagte er: "Ich werde ihnen einschärfen, dass der Prozess, den wir in Irland einleiten müssen, nicht vorbestimmt werden darf."

Opting-out-Regeln

Um sich die Zustimmung der Iren zu dem Vertragswerk beim zweiten Referendum zu sichern, könnte die EU den Iren den Ausstieg aus bestimmten Vertragsbestimmungen erlauben - also sogenannte Opting-out-Regeln für Irland einführen. Auf diese Weise gestand die EU Dänemark nach dem Scheitern eines Referendums 1992 über die Wirtschafts- und Währungsunion Sonderrechte zu, die ein Jahr später zum Erfolg eines zweiten Referendums führten. Auch Großbritannien behält sich das Recht vor, selbst über einen Beitritt zur Währungsunion zu entscheiden.

Vorteil: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Iren dem Vertragswerk doch noch zustimmen, steigt mit diesen Zugeständnissen. Nachteil: Durch die zahlreichen Zusatzprotokolle und Opting-out-Regeln verliert das Vertragswerk weiter an Transparenz - und damit an Bürgernähe.

Das Konzept Kerneuropa

Darunter versteht man einen Kern von Staaten, der innerhalb der Europäischen Union eine verstärkte Integration anstrebt. Andere, weniger integrationswillige Staaten lehnen etwa eine weitreichende Zusammenarbeit in den Bereichen Währungs- oder Verteidigungspolitik ab und gehören nicht zum Kern.

Vorteil: Die Europäische Integration könnte flexibel gehandhabt werden. Nachteil: Es ist völlig unklar, wie dies funktionieren könnte. Weder der Vertrag von Lissabon noch der Vertrag von Nizza sieht Regelungen für einen "Kern" vor.

Europa der zwei Geschwindigkeiten

Was es aber bereits gibt, ist das Konzept des "Europa der zwei Geschwindigkeiten": Beispielsweise haben sich 1985 Deutschland, Frankreich und die Benelux-Staaten auf das Schengener Abkommen zur Abschaffung von Grenzkontrollen geeinigt. Andere Staaten traten erst nach und nach bei. Im Unterschied zum Konzept Kerneuropa wird hier die gleiche Integrationstiefe angestrebt. Allerdings erfolgt das unterschiedlich schnell.

Vorteil: Auch dies ermöglicht eine flexible Handhabung der Integration. Nachteil: Beim Lissabonner Vertrag ist dies aber so gut wie ausgeschlossen. Denn der Vertrag kann nur in Kraft treten, wenn ihn alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben.

Ein neuer Vertrag

Dies war die Lösung, als die Niederlande und Frankreich 2005 gegen den Verfassungsentwurf stimmten. Der jetzt von den Iren abgelehnte Lissabonner Vertrag ist der Kompromiss, den die Regierungschefs nach der damaligen Krise mühsam erzielt haben. Der Reformvertrag beinhaltet wesentliche Teile des Verfassungsentwurfs.

Vorteil: Die EU könnte dies erneut als Chance nutzen, die Reformen der Institutionen für den EU-Bürger transparenter zu machen. Nachteil: Die EU landet erneut in der Ratifizierungsfalle - oder, wie es Martin Schulz - der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament - ausdrückt: "Seit acht Jahren ratifizieren wir uns zu Tode." Ein neuer Vertrag würde bedeuten, dass auch die Ratifizierung von vorn beginnen müsse. Staaten also, die bereits die Verfassung und den Vertrag von Lissabon ratifiziert haben, müssten ein drittes Mal über die Ratifizierung entscheiden. Die Möglichkeit eines neuen Vertrags gilt daher als sehr unwahrscheinlich.

Lesen Sie auf Seite 2, welche Positionen ausgewählte EU-Staaten vertreten.

Wege aus der Krise

Auch die Europäischen Staats- und Regierungschefs haben jeweils eigene Vorstellungen von dem Weg aus der Krise. Ein Überblick über die Positionen ausgewählter Staaten.

Deutschland will eine Lösung mit allen

Kanzlerin Angela Merkel will in Brüssel einen Zeitplan zum Weg aus der Irland-Krise vereinbaren. Für Merkel kommt nur eine Lösung aller Mitglieder inklusive Irland in Frage: "Die Bundesregierung wird keine Verfahren mit Kerngruppen oder variablen Gruppen forcieren", betonen ihre Berater. Die Bundeskanzlerin will den Ratifizierungsprozess unvermindert fortsetzen. Änderungen an dem Lissabonner Vertrag lehnt Merkel ab. Allerdings könne sich ein Land in einzelnen Fragen von der gemeinsamen Entwicklung abkoppeln.

Frankreich ist für mehr Bürgernähe

Den Franzosen kommt eine Schlüsselrolle beim Krisenmanagement zu: Vom 1. Juli an hat das Land die EU-Ratspräsidentschaft inne. Premierminister François Fillon hat indes zu mehr Bürgernähe bei politischen Entscheidungen aufgerufen. Als Beispiel nannte Fillon die Begrenzung der Mehrwertsteuer auf Benzin und andere Ölprodukte wegen des starken Ölpreisanstiegs. Auch darüber wird auf dem EU-Gipfel beraten. Wie Deutschland will Frankreich am Lissabonner Vertrag festhalten: Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy sprach sich dafür aus, den Ratifizierungsprozess fortzusetzen und die Reform zu retten. Der französischen Tageszeitung Le Figaro zufolge will Sarkozy ein zweites Referendum in Irland durchsetzen.

Großbritannien schwankt

Das britische Oberhaus hat am Mittwoch den Weg für die Ratifizierung des EU-Vertrags freigemacht. Damit hat sich auch das House of Lords dafür ausgesprochen, das Reformwerk anzunehmen. Damit ist Großbritannien das erste Land, das nach dem Nein der Iren den Reformvertrag ratifiziert. Premierminister Gordon Brown unterstrich, das irische Nein habe keinen Einfluss auf den Ratifizierungsprozess in anderen EU-Ländern. Ganz anderer Ansicht ist da die Opposition. So sagte David Cameron von den Tories zu Brown: "Ich verstehe einfach nicht, warum Sie nicht die Courage haben, den Vertrag für tot zu erklären."

Slowenien will Zugeständnisse machen

Das Land, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne hat, hat Irland Zugeständnisse beim EU-Vertrag in Aussicht gestellt. Es sei denkbar, den Iren entgegenzukommen, sagte Sloweniens Ministerpräsident Janez Janša. Zunächst aber müsse man im Detail analysieren, wie es zu dem Nein kommen konnte. Ähnlich wie Deutschland will Slowenien auf dem EU-Gipfel einen "Zeitplan" für einen Ausweg aus der Krise beschließen.

Dänemark fordert einen klaren Zeitplan

Geht es nach Dänemarks Regierungschef Anders Fogh Rasmussen, so soll der Reformvertrag am 1. April 2009 in Kraft treten. Das sei ein "optimistischer und anspruchsvoller Zeitplan", sagte er im Vorfeld des EU-Gipfels. Der Vertrag müsse vor den Wahlen zum Europaparlament im Juni kommenden Jahres von allen 27 Mitgliedstaaten gebilligt sein.

Finden die Staats- und Regierungschefs keine Lösung, so gilt der Nizza-Vertrag von 2003 weiter. Seine Entscheidungsmechanismen sind wesentlich komplizierter, die Erweiterungsmöglichkeiten der EU werden dadurch erheblich eingeschränkt. Bereits zum Frühjahr müssten sich die EU-Regierungen dann auf eine - im Nizza-Vertrag festgelegte - Verkleinerung der EU-Kommission und einen Mechanismus für die Rotation der Kommissare zwischen den EU-Staaten einigen.

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