EU-Gipfel:Die EU will eine saubere Scheidung von Großbritannien

EU-Gipfel: Juncker bei der Pressekonferenz nach Bekanntgabe des Ergebnisses des Brexit-Referendums

Juncker bei der Pressekonferenz nach Bekanntgabe des Ergebnisses des Brexit-Referendums

(Foto: AFP)
  • Möglichst enge Beziehungen mit der EU stellt sich der britische Premier Cameron vor, beim Handel etwa und in Sicherheitsfragen.
  • Die EU-Außenbeauftragte Mogherini warnt davor, dass die Briten sich bequeme neue Bedingungen im Verhältnis zur EU zimmern wollten, bevor sie über den Austritt verhandeln.
  • Per Resolution fordern die vier größten Fraktionen im Europäischen Parlament die Briten auf, "so bald wie möglich" die Austrittsprozedur in Gang zu setzen.

Von Daniel Brössler, Thomas Kirchner und Alexander Mühlauer, Brüssel

David Cameron hat es nicht eilig. Seine Limousine nähert sich im Schritt-tempo dem Eingang des Justus-Lipsius-Gebäudes im Brüsseler Europaviertel. Dort warten die Kameras. Schon Dutzende Male ist er hier ausgestiegen. Dynamisch natürlich und fast immer mit ein paar markigen Botschaften für die Heimat - oft genug am Thema des jeweiligen EU-Gipfels völlig vorbei. Diesmal wirkt Cameron ernst - und spricht zur Sache.

"Ich werde erklären, dass Großbritannien die EU verlassen wird, aber ich will, dass dieser Prozess so konstruktiv wie möglich verläuft", verkündet der im Referendum Geschlagene. Und: "Während wir die EU verlassen, müssen wir natürlich der EU nicht unseren Rücken zukehren." Engst mögliche Beziehungen stellt sich Cameron vor, beim Handel etwa und in Sicherheitsfragen. Später, beim Abendessen, wird er den anderen zu erklären versuchen, wie er sich das vorstellt. Den anderen, die mit ihm darüber gar nicht reden wollen, zumindest nicht an diesem Abend.

Solange Großbritannien seine Austrittsabsicht nicht offiziell nach Artikel 50 des EU-Vertrages erklärt, gebe es "keinerlei Verhandlungen über den Scheidungsprozess oder künftige Beziehungen", sagt EU-Ratspräsident Donald Tusk. Das ist die Linie, nicht nur im Ratsgebäude. Bei Vortreffen der Sozialdemokraten warnt die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini davor, dass die Briten sich erst einmal bequeme neue Bedingungen im Verhältnis zur EU zimmern wollten, bevor sie über die Scheidung reden. Die Stimmung: Kommt nicht in Frage.

"Ich bin kein Roboter, ich bin kein Bürokrat. Ich bin ein Mensch."

Ein paar Stunden zuvor im Europäischen Parlament. Nigel Farage sitzt gut gelaunt an seinem Platz. Vor sich hat er eine kleine britische Flagge gestellt. Farage grinst sein triumphierendes Grinsen, das er im Wahlkampf für den Brexit immer wieder gezeigt hat. Nur ein guter Meter trennt den Ukip-Abgeordneten von Jean-Claude Juncker. "Ich bin überrascht, dass Sie hier sind", sagt der Kommissionspräsident. "Sie haben für den Austritt gekämpft. Warum sind Sie hier?" Es ist das einzige Mal, dass Juncker Englisch spricht. Der Luxemburger, der seine Reden sonst gerne mit drei Sprachen färbt, macht auf Französisch und Deutsch weiter.

Juncker will vor allem den Eindruck vom vergangenen Freitag vergessen machen. Da trat er im Lichte des Referendums ziemlich beleidigt, ja fast rotzig vor die Presse. Nun sagt er: "Ich bin kein Roboter, ich bin kein Bürokrat, ich bin kein Technokrat. Ich bin ein Mensch. Und ich kann sagen, dass ich das Votum bedaure." Er sei traurig, sagt er, "je suis triste."

Dann geht Juncker zum Angriff über, beherzt, so wie er es eben auch kann. Die Sache mit den Briten müsse geklärt werden, "nicht heute, nicht morgen früh, aber so schnell wie möglich". Am Freitag war er noch weitaus fordernder. Doch die Kritik an seiner Haltung aus Berlin und anderen Hauptstädten lässt nun auch ihn nicht mehr so offensiv auftreten. Wobei die Botschaft in Richtung London klar ist: "Es darf keine informellen, geheimen Verhandlungen geben." Allen Leuten in seinem Haus hat er das per "Mufti-Befehl" verboten. "Wir bestimmen die Tagesordnung. Und nicht diejenigen, die die Europäische Union verlassen möchten", sagt Juncker.

Kommissionspräsident Juncker wirkt kampfbereit

Der Kommissionspräsident wirkt kampfbereit. Er hält sich mit beiden Händen am Rednerpult fest; dann wird er persönlich. "Ich bin nicht müde und auch nicht krank, wie das manchmal in Zeitungen in Deutschland steht", beteuert er. "Da scheint es, als würden Journalisten zu Ärzten werden oder umgekehrt." Zuletzt gab es mehrere Artikel, die sich mit Junckers Gesundheitszustand beschäftigten. Das hat ihn getroffen, das zeigt er auch.

Farage, der sich seinerseits gerne mit einem Bier in der Hand ablichten lässt, erklärt, vor 17 Jahren, als er in diesem Hause ankam, hätten alle gelacht über ihn. "Jetzt lacht keiner mehr." Nicht er, sondern die EU selbst habe die Bürger doch fortlaufend betrogen. Die politische Union habe sie den Menschen aufgezwungen, "ohne je die Wahrheit gesagt zu haben". Im übrigen habe "fast keiner hier" jemals einen richtigen Job gehabt oder einen Arbeitsplatz geschaffen. Er wolle jetzt einen Deal zwischen Großbritannien und der EU, der einen zollfreien Warenverkehr erlaube. "Wir werden die besten Freunde auf der Welt bleiben." Sagt es, setzt sich hin und grinst.

Ganz am Anfang der Aussprache ist es CSU-Politiker Manfred Weber, der dem britischen Premier die Leviten liest. Gut, Cameron habe sich vor dem Referendum für Europa eingesetzt, sagt der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, und dieser Einsatz verdiene Respekt. Aber, und in die folgenden Worte fließen Enttäuschung und Schmerz aller "überzeugten Europäer" ein, für die Weber im Brüsseler Rund steht, im Grunde habe der Konservative doch "seine ganze Karriere auf dem Rücken Europas" vorangetrieben, habe stets "Brüssel-Bashing betrieben".

Es gibt noch andere Probleme, die Europa quälen

Die offene britische Frage lähmt auch die Brüsseler Politikmaschine. Wichtiges wird wegen des Brexit immer weiter verschoben: die Verlängerung der Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat zum Beispiel oder das Votum zur geplanten Anti-Terror-Richtlinie. Damit müsse Schluss sein, so das Parlament. Per Resolution fordern die vier größten Fraktionen die Briten auf, nun "so bald wie möglich" die Austrittsprozedur in Gang zu setzen.

Noch ist es aber nicht so weit. Nachdem sie beim Abendessen Camerons Sicht der Dinge gehört haben, werden die verbliebenen 27 Gipfelteilnehmer das Thema Brexit an diesem Mittwoch kurz und flach besprechen. Es werde nur um "Prozesse" und "Strukturen" gehen, sagt ein EU-Diplomat. Substanzielleres stehe wohl erst auf dem für September geplanten informellen Sondergipfel in Bratislava zur Debatte.

Es gibt noch andere Probleme, die Europa quälen, daran erinnert Bundeskanzlerin Angela Merkel in Brüssel. Nicht zuletzt ist das die Flüchtlingskrise. Beim Kampf gegen Menschenschmuggler und beim Aufbau eines gemeinsamen Grenzschutzes gebe es Fortschritte. "Und das ist, bei allem, was wir bedauern, doch eine gute Nachricht."

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