EU-Gipfel in Lissabon:Riskante Referenden

Bei dem EU-Gipfel geht es um viel: Es geht um einen neuen Grundlagenvertrag für die Staatengemeinschaft. Doch Briten, Iren und Dänen könnten den Kompromiss noch ablehnen.

G. Herrmann, W. Koydl, J. Rubner

Ausgerechnet Gisela Stuart. Die britische Labour-Abgeordnete mit deutscher Geburtsurkunde verlangt von Premier Gordon Brown ein Referendum über den EU-Vertrag. Dabei hatte die überzeugte Europäerin Stuart selbst an der ursprünglichen Verfassung mitgearbeitet.

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England, Irland und Dänemark könnten die Pläne nach einem neuen Grundlagenvertrag noch durchkreutzen.

(Foto: Foto: AP)

"Meine Partei hat 2005 ein Referendum versprochen", erklärte sie ihre Haltung der Süddeutschen Zeitung. Was aber, wenn die Briten den Vertrag abschmettern? "Das wird die Politiker zwingen, Europa besser zu verkaufen", sagt Stuart.

Stuart steht für den Unmut bei Labour über Browns Versuch, den neuen Vertrag an Partei und Volk vorbeizumogeln. Der Druck im Unterhaus auf den Regierungschef nimmt zu, und dabei muss Brown die eigenen Leute so fürchten wie die Opposition.

Außenminister David Miliband, der das Papier verteidigt, weil die von Großbritannien gewünschten Ausnahmeregelungen in der Justiz- und Innenpolitik "klar geregelt" seien, wurde schon mit Chamberlain verglichen.

Kurz vor dem Gipfel gab man sich in London jedoch betont optimistisch. Höchstens 20 Labour-Abgeordnete, hieß es am Mittwoch aus Regierungskreisen, seien für ein Referendum. Man rechne damit, dass der Vertrag im Frühsommer durch sei.

Entschieden ist auf der Insel also nichts, doch das gilt auch für Irland, dessen Verfassung eine Volksabstimmung vorschreibt. Erinnerungen an das Jahr 2001 werden wach, als die Iren den Vertrag von Nizza erst einmal abschmetterten.

Wenn auch die Iren wegen des enormen wirtschaftlichen Aufschwungs als europafreundlich gelten, könnte die Stimmung sich drehen. Premier Bertie Ahern, der mit Mühe die Wahl gewann, ist so unbeliebt wie nie zuvor; das könnte sich bei einer Abstimmung rächen.

Die dänische Regierung folgt einem klaren Kurs: Der neue EU-Vertrag soll dem Volk nur zur Abstimmung vorgelegt werden, wenn das Land Hoheitsrechte abtreten muss. In diesem Fall schreibt die dänische Verfassung ein Referendum vor. Andernfalls könnte das Parlament den Wählern freiwillig die Entscheidung überlassen, doch Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen versprach stets, man werde darauf verzichten.

Es ist allerdings fraglich, ob er sein Versprechen halten kann: Obwohl der Vertrag in der derzeitigen Fassung nach Meinung von Experten dänische Hoheitsrechte unberührt lässt, wollen die Dänen aktuellen Umfragen zufolge selbst bestimmen. Etwa 59 Prozent der Wähler sind nach Angaben der Nachrichtenagentur Ritzau für ein Referendum, nur 26 Prozent lehnen es ab.

Auch Helle Thorning-Schmidt, Vorsitzende der dänischen Sozialdemokraten, äußerte sich letzte Woche verhalten positiv zu einer Volksabstimmung. Der EU-Vertrag sei keine rein juristische Frage, sondern auch eine politische, sagte sie und sorgte mit der vorsichtigen Andeutung für Wirbel.

Bislang hatten die Sozialdemokraten - stärkste Oppositionspartei in Dänemark - Rasmussens Minderheitsregierung in der Referendumsfrage unterstützt. Ohne Hilfe von links hat die liberal-konservative Koalition in diesem Punkt keine Mehrheit.

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