EU-Gipfel in Brüssel:Oberstes Ziel: Migranten aufhalten

  • Beim EU-Gipfel in Brüssel überlagert die Asylpolitik in Europa alle anderen Themen.
  • Es zeichnet sich ein Ergebnis ab, das der CSU gefallen dürfte: Migranten sollen möglichst schon vor den EU-Grenzen aufgehalten werden.
  • Offen ist, ob Bundeskanzlerin Merkel von anderen Staaten Zusagen für Rückführungsabkommen mitbringen kann.

Von Daniel Brössler, Thomas Kirchner und Alexander Mühlauer, Brüssel

Es ist schon bemerkenswert, wie es eine relativ kleine deutsche Partei geschafft hat, die Perspektive auf den EU-Gipfel zu verändern, der an diesem Donnerstag und Freitag in Brüssel stattfindet. Stand ehedem im Mittelpunkt, wie Europa gerettet, wie der Streit über den Euro oder die Migrationspolitik in Richtung einer gemeinsamen Lösung gelenkt werden können, geht es nun fast nur noch um diese eine Frage: Überleben Kanzlerin Angela Merkel und ihre Regierung?

Nun, es könnte gelingen. Denn in der alles andere überlagernden Asylpolitik zeichnet sich ein Gipfel-Ergebnis ab, das den christsozialen Koalitionsrebellen gefallen müsste. Von der früher einmal liberalen Flüchtlingspolitik Merkels bliebe dann nichts übrig, der Zeitgeist und die politische Realität in Europa zwingen auch die Kanzlerin zum Kurswechsel.

"Die Völker Europas erwarten von uns - und sie tun das nun seit einiger Zeit -, dass wir Entschlossenheit in unseren Maßnahmen zur Wiederherstellung ihres Sicherheitsgefühls zeigen", schreibt EU-Ratspräsident Donald Tusk in seinem Einladungsbrief zum Gipfel. "Die Menschen wollen das nicht, weil sie auf einmal ausländerfeindlich geworden sind und Mauern gegen den Rest der Welt errichten wollen, sondern weil es die Aufgabe jeder staatlichen Gewalt ist, das Gesetz durchzusetzen, sein Territorium und die Grenze zu schützen."

Ausbuchstabiert wird das im Entwurf der Gipfel-Erklärung gleich im ersten Satz: "Der Europäische Rat bestätigt erneut, dass ein wirksamer Schutz der Außengrenzen die Bedingung für eine funktionierende EU-Migrationspolitik darstellt." Und so geht es weiter, mit einer Reihe von Punkten, die alle in dieselbe Richtung zielen: möglichst wenig Migranten nach Europa zu lassen, sie schon außerhalb der EU-Außengrenzen aufzuhalten oder möglichst schnell zurückzuschicken.

Aus der Bundesregierung heißt es, die Gespräche verliefen "ermutigend"

Dem soll die Aufrüstung der Grenzschutzagentur Frontex dienen; der Kampf gegen Menschenschmuggler; die Hilfe für die libysche Küstenwache, die Migranten auf eigenem Territorium einsammeln und zurück an Land bringen soll; die Einrichtung "regionaler Ausschiffungsplattformen" in Nordafrika, in die auf See gerettete Migranten gebracht würden; die Kooperation mit Herkunftsstaaten und vieles mehr.

Das meiste davon ist realistisch, aber schwierig. Anderes, wie die regionalen Ausschiffungsplattformen, könnte sich als politische Fata Morgana erweisen. "Aber wir sollten uns nicht auf Gründe konzentrieren, warum etwas nicht geht", sagt ein hoher EU-Beamter, "sondern uns entschlossen zeigen, dass wir eine Lösung finden." Er wisse aber auch noch nicht, wie diese Plattformen konkret aussehen könnten. Klar sei aber: "Wir reden nicht über Lager." Die EU-Kommission steht bereit, über diesen Vorschlag, den sie bisher skeptisch sah, nachzudenken.

Aber was springt beim Gipfel für Merkel vor dem Hintergrund ihres Streits mit der CSU heraus? Hier verweisen Diplomaten eilfertig auf Punkt acht des Gipfel-Entwurfs. Da geht es darum, die "Sekundärmigration" einzudämmen, also zu verhindern, dass Asylbewerber irgendwo einen Antrag stellen und dann weiterziehen, etwa nach Deutschland. Soweit bekannt, sei Berlin hierüber mit anderen EU-Staaten im Gespräch. In der Tat: Aus der Bundesregierung heißt es, die Gespräche verliefen "ermutigend". Offen ist aber, ob Merkel vom Gipfel Zusagen für Rückführungsabkommen mitbringen kann.

Auf wen kann Merkel bauen in Brüssel?

So hofft sie, den nationalen Alleingang von Innenminister Horst Seehofer stoppen zu können. Während der CSU-Chef an der Grenze alle zurückweisen will, die schon in einem anderen Staat registriert sind, sucht Merkel Einvernehmen mit den betroffenen Staaten wie Italien oder Griechenland, um Asylbewerber einfacher und schneller zurückschicken zu können. In den geltenden Regeln sind solche Abkommen vorgesehen. Die italienische Regierung jedoch wird eine beträchtliche Gegenleistung fordern.

Für solch einen Abschreckungs- und Eindämmungskonsens, der gravierende praktische und ideologische Unterschiede über eine gemeinsame Flüchtlingspolitik übertünchen würde, könnte es reichen. Aber die Dublin-Verordnung, das Hauptelement der Asylreform, spaltet Europa weiter, trennt Ost und West sowie den Süden und den Rest. Deshalb wird das Dublin-Thema abermals vertagt und an die kommende österreichische EU-Ratspräsidentschaft verwiesen werden. Und zwar ohne Frist für eine Lösung.

Wie die aussehen müsste, hat die Regierung Kurz wissen lassen. Sie hält jegliche Umverteilung von Flüchtlingen in andere EU-Staaten für unsinnig und möchte alle auf die altbekannte harte Linie von Ungarns Premier Viktor Orbán bringen: Wenn die EU gar keine Migranten mehr auf ihr Gebiet lässt, erübrigt sich der Streit um die Verteilung. Deshalb sollen die Europäer Auffangzentren außerhalb der EU finanzieren, so wie in der Türkei. Dort sollen bedürftige Menschen so lange untergebracht sein, bis der Krieg in ihrer Heimat zu Ende ist. In Budapest ist seit Jahren von "externen Hotspots" die Rede. Das Ziel ist klar: In die EU soll niemand kommen.

Aus Sicht der Bundesregierung ist das eine Illusion. Weshalb sie weiter auf Solidarität besteht, und zwar eine, von der man sich nicht komplett freikaufen kann. Kein Staat dürfe die Aufnahme von Flüchtlingen völlig verweigern, hieß es am Mittwoch aus Regierungskreisen.

Bleibt die Frage: Auf wen kann Merkel bauen in Brüssel? Frankreich jedenfalls wird den Partner weitgehend unterstützen. Präsident Emmanuel Macron befürwortet die Idee der bilateralen Abmachungen und wärmt zudem mit aller Macht das 2015 entstandene "Hotspot"-Konzept auf. Und zwar auf EU-Gebiet: In geschlossenen Zentren sollen Migranten empfangen, registriert, auf Schutzbedürftigkeit überprüft, verteilt oder zurückgeschickt werden. Diese Zentren sollten vor allem in Italien, Griechenland oder Spanien entstehen, heißt es in Paris, nicht in Frankreich, das "abseits der Hauptroute" liege. Das wiederum wird Italien erzürnen, das nur eines will: das Dublin-Prinzip abschaffen, das die größte Last den Staaten an der Außengrenze aufbürdet.

Wie so oft, steht das Gipfel-Ergebnis inhaltlich schon weitgehend fest. Entscheidend wird sein, wie Merkel es verkauft, inwieweit die Kollegen sie stützen. Jetzt ist sie es, die auf die Solidarität der anderen angewiesen ist.

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