EU-Gipfel:In Brüssel macht sich nur kurz Erleichterung breit

EU-Gipfel: Emmanuel Macron, Jean-Claude Juncker, Theresa May und Angela Merkel in Brüssel.

Emmanuel Macron, Jean-Claude Juncker, Theresa May und Angela Merkel in Brüssel.

(Foto: AFP)
  • Die EU ist vorläufig von den Strafzöllen der USA ausgenommen.
  • Das erfahren die Staats- und Regierungschefs während eines Gipfels in Brüssel. Sie atmen auf.
  • Die Angst vor einem globalen Handelskrieg ist nicht gebannt. Die grundsätzliche Frage bleibt: Welche Antwort findet die EU auf Trumps protektionistische Politik?

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Es ist 13.17 Uhr, mitteleuropäische Zeit, als Donald Tusk einer schwarzen Limousine entsteigt, das Revers seines Anzugs zurechtzupft und dann recht schnell im Fahrstuhl verschwindet, um sich in sein Büro zurückzuziehen. Noch knapp zwei Stunden Ruhe, dann beginnt der Gipfel. Doch so gelassen wie er dreinblickt, kann der EU-Ratspräsident gar nicht sein. So viel Ungewissheit gab es schon lange nicht mehr vor einem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs. Der bange Blick der Europäer richtet sich an diesem Donnerstagmittag nach Washington. Dort scheint Donald Trump ausweislich seines Twitter-Accounts schon wach zu sein. Den ersten Tweet des Tages hat er abgesetzt. Es wird nicht der letzte bleiben.

Wie ein Damoklesschwert hängt der globale Handelsstreit über dem Brüsseler Gipfel. Bevor es losgeht, sitzt Cecilia Malmström an diesem regnerischen Vormittag in einer Ausschusssitzung des Europaparlaments. Am Tag zuvor war sie noch in Washington. Sie sagt, sie habe dort alles versucht. Die EU-Handelskommissarin hat mit US-Handelsminister Wilbur Ross gesprochen, mit dem US-Handelsbeauftragten Robert Lighthizer und seinen engsten Mitarbeitern. Die Lage, sagt Malmström, sei nun mal so: "Wenn sich nichts tut, treten die Zölle um Mitternacht in Kraft." Doch dann tut sich was.

Um kurz vor 16 Uhr kommt eine Eilmeldung aus Washington: "EU und andere Länder vorläufig von Strafzöllen ausgenommen." Die Nachrichtenagenturen berufen sich auf Lighthizer, der das vor einem Ausschuss des US-Senats verkündet habe. In Brüssel macht sich Erleichterung breit. Wobei: "Am Ende liegt die Entscheidung allein in der Hand von Trump", sagt ein EU-Diplomat. Bei diesem US-Präsidenten könne man nie ganz sicher sein. In Brüssel können die Staats- und Regierungschefs zunächst nicht mehr tun als abwarten. Sie haben sich auf alle Szenarien vorbereitet. Sie haben eine Klage vor der Welthandelsorganisation geprüft. Sie haben eine Liste von Vergeltungszöllen erstellt. Als die gute Nachricht aus Washington kommt, sitzen alle 28 schon beisammen. Kurz zuvor hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron noch recht lakonisch gesagt, man werde um 22 Uhr sehen, wie sich Trump entscheide. Der US-Präsident tritt dann doch schon um 17.45 Uhr vor die Kameras und erklärt nicht der EU, sondern China den Handelskrieg. In Richtung Brüssel sagt er nur: "Wir beginnen gerade eine Verhandlung mit der Europäischen Union." Und: "Sie haben sehr hohe Zölle. Wir nicht. Es ist einfach nicht fair." Im Entwurf der Gipfel-Erklärung findet sich zu dieser Zeit nur ein weißes Blatt Papier. "p.m. USA" steht da, mehr nicht. Die Abkürzung bedeutet "pour mémoire", zur Erinnerung. Nun, erinnern muss man in Brüssel niemanden - allen ist der Ernst der Lage bewusst.

Auch wenn die Europäer vorerst von US-Zöllen verschont bleiben, ist die Angst vor einem globalen Handelskrieg nicht gebannt. Trump könnte allein mit seinen Maßnahmen gegenüber China eine Wirtschaftskrise auslösen. Davor wäre auch Europa nicht gefeit. Und die grundsätzliche Frage bleibt: Welche Antwort findet die EU auf Trumps America-First-Politik?

Schließlich ist es ja nicht nur die Sorge vor neuen Zöllen, die das transatlantische Verhältnis belastet. Es ist auch die Frage, wie die EU mit den mächtigsten Konzernen dieser Welt umgeht. Facebook und Google, Amazon und Apple haben nun mal ihre Heimat in den Vereinigten Staaten. Sie bestimmen den Alltag vieler Menschen, auch in Europa. Und doch bezahlen die Firmen - auch mit Hilfe mancher EU-Staaten - kaum Steuern in Europa. Tusk hat das Thema bewusst auf die Gipfel-Agenda gesetzt, am Tag zuvor hatte die EU-Kommission ihre Vorschläge für eine Digitalsteuer präsentiert, die insbesondere die großen amerikanischen Technologie-Konzerne treffen würde.

Kein Wunder, dass der ein oder andere Staats- und Regierungschef davor zurückschreckt, ausgerechnet jetzt eine weitere Front gegenüber den USA zu errichten. Trumps Finanzminister hat ja bereits klar gesagt, was er von solchen Plänen hält - nämlich überhaupt nichts. Auch die EU-Staaten sind uneins. Länder wie Luxemburg oder Irland, die US-Konzerne mit lukrativen Steuerdeals zu sich gelockt haben, dringen darauf, diese Frage auf Ebene der G20 zu diskutieren. Doch gerade das jüngste Treffen in Buenos Aires hat gezeigt, wie weit die Länder voneinander entfernt sind.

Die Staats- und Regierungschefs der EU sind sich zwar einig, dass ihr Steuerrecht den rasanten Veränderungen in der digitalen Wirtschaft gerecht werden muss; aber wie das gelingen soll, darauf gibt es unterschiedliche Antworten.

Und dann ist es wie so oft in Brüssel: Die Realität holt die Politik ein. Mögen die EU-Gipfel auch noch so gut vorbereitet sein, es gibt immer unvorhersehbare Themen, die auf die Agenda drängen. Diesmal ist es die Affäre um den Datenmissbrauch bei Facebook. In der Abschlusserklärung liest sich das so: "Soziale Netzwerke und digitale Plattformen müssen transparente Verfahren und uneingeschränkten Schutz der Privatsphäre und der personenbezogenen Daten garantieren." Facebook steht unter scharfer Kritik: Die vom Wahlkampfteam des US-Präsidenten beauftragte Firma Cambridge Analytica soll ohne deren Einverständnis die Profil-Daten von 50 Millionen Facebook-Nutzern gesammelt haben. Einmal mehr taucht der Name Trump auf. Der US-Präsident lässt den Gipfel einfach nicht los.

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