EU-Gipfel:High-Speed-Treffen in Brüssel

  • Der EU-Gipfel in Brüssel ist kurz. Die 28 Staaten- und Regierungschefs reisen bereits einen Tag früher ab als geplant.
  • Das 315 Milliarden Euro umfassende Investitionspaket von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nicken alle Mitgliedstaaten ab.
  • Kanzlerin Merkel verteidigt das umstrittene transatlantische Handelsabkommen TTIP.

Von Javier Cáceres, Cerstin Gammelin und Luisa Seeling, Brüssel

Am Tag nach dem EU-Gipfeltreffen glich das Europa-Viertel am Freitag einer verlassenen Partymeile. Reinigungswagen und Polizeieinheiten räumten allerdings nicht die Reste eines großen Festes auf, sondern die einer Demonstration.

Am Freitag waren etwa tausend Kritiker der europäischen Sparpolitik, der geplanten internationalen Handelsabkommen und der vorgesehenen Abschaffung von Umweltstandards mit Dutzenden Traktoren vor das Ratsgebäude gezogen, in dem eigentlich die 28 Staats- und Regierungschefs tagen sollten. Doch der Protest lief ins Leere - die Chefs waren wegen eines kurzen Gipfelprogramms früh fertig geworden und abgereist.

Traditionell dauert das Dezember-Gipfeltreffen zwei Tage. Der neue EU-Ratspräsident Donald Tusk aber vertagte kontroverse Diskussionen auf das kommende Jahr. Das sei ein "kurzer, prägnanter, gut organisierter Rat" gewesen, lobte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico konstatierte: "In der Gipfelorganisation weht ein neuer Wind."

Die Mitgliedstaaten nicken Junckers Plan ab

Tusk hatte zwei Großthemen auf die Agenda gesetzt: das 315 Milliarden Euro umfassende Investitionspaket von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und eine strategische Diskussion zur Ukraine-Krise. Die 28 Mitgliedstaaten nickten grundsätzlich Junckers Plan ab. Im Januar soll der Behördenchef die entsprechende Gesetzgebung dazu vorlegen. Nach welchen Kriterien die Investitionsprojekte ausgewählt werden und wer die Auswahl trifft, soll erst danach entschieden werden.

Die Ukraine-Krise kommt in der Abschlusserklärung des Gipfels nur in zwei Absätzen vor, die Einigkeit suggerieren, obwohl es geteilte Meinungen gibt. Während einige Länder auf ein schnelles Ende der Sanktionen hoffen, geben sich andere unnachgiebig gegenüber Russland. Und so brachte der High-Speed-Gipfel ein ungewöhnlich kurzes Abschlussdokument hervor. Statt 15 Seiten wie im Oktober waren es diesmal nur drei.

Tusk mag am Ende froh gewesen sein, dass auf dem Gipfeltreffen nicht wie sonst üblich eine ganze Nacht lang um Formulierungen gerungen werden musste. Bei seinen Auftritten war deutlich zu hören, dass er im Englischen noch nicht verhandlungssicher genug ist, um nuancenreiche europäische Kompromisse auf den Punkt zu bringen.

A demonstrator climbs a pole to place a banner during a protest by European farmers against the TTIP close to European Commission headquarters in Brussels

Brüssel am Tag danach: Belgische Bauern protestierten vor dem Sitz der EU-Kommission gegen das geplante Handelsabkommen TTIP.

(Foto: Pascal Rossignol/Reuters)

Knappe Passage zu TTIP

In der Abschlusserklärung war auch eine knappe Passage zu den Verhandlungen um das umstrittene transatlantische Handelsabkommen TTIP enthalten. Darin wird die EU-Kommission aufgefordert, die Gespräche mit den USA 2015 abzuschließen. Die Zeit drängt, weil die Amtszeit von US-Präsident Obama endet und die seit 18 Monaten laufenden Verhandlungen ins Stocken geraten sind.

Der Grund für die Verzögerungen sind auch Bedenken der Bevölkerung, vor allem in Deutschland und Österreich. Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) aus Wien ließ denn auch beim Gipfel seinem prinzipiellen "Ja" zu TTIP ein lautes "Aber" folgen. Ein Dorn im Auge sind ihm die Klauseln zum Schutz von Investoren, wonach unabhängige Schiedsgerichte über Rechtsstreitigkeiten entscheiden sollen. Konzernen soll es nach diesen Klauseln erlaubt sein, Staaten vor diesen Gerichte zu verklagen.

Derlei sei "weder notwendig noch sinnvoll", findet Faymann. Kritiker befürchteten zu Recht, dass Umwelt-, Sozial- und Rechtsstandards ausgehebelt werden könnten. Der Kanzler sagte, seine Bedenken würden nicht nur TTIP gelten, sondern auch dem Ceta-Abkommen, das die EU mit Kanada verhandelt hat. "Wir sind überzeugt, dass sowohl der kanadische als auch der US-amerikanische Rechtsstaat stark genug sind, um auf diese Sondergerichte zu verzichten", sagte Faymann.

Gegenwind von Merkel

Widerspruch erntete er von seiner deutschen Kollegin Angela Merkel. Sie habe zwar Verständnis für die Bedenken anklingen lassen, berichteten Teilnehmer. Andererseits habe sie betont, dass man sich in die Lage der Nordamerikaner versetzen müsse. Erst recht nicht vergessen dürfe man, dass die Europäer Investitionsschutz-Abkommen mit anderen Staaten hätten. Auch auf Österreich trifft das zu.

Im Kreise der Regierungschefs ist Faymann klar in einer Minderheitenposition. Er kann nicht einmal auf die Unterstützung aller sozialdemokratischen Kollegen bauen. Die Dänin Hella Thorning-Schmidt und der Schwede Stefan Löfven gelten als TTIP-Befürworter. Im Kreise der europäischen Sozialisten wächst aber die Zahl der TTIP-Kritiker. Für den kommenden Februar wurde daher ein Treffen der sozialistischen Parlamentsfraktion einberufen. Es soll in Madrid stattfinden, wo die Sozialisten immer mehr an Zuspruch verlieren - und Wähler vor allem an Parteien zu ihrer Linken abgeben, die TTIP gerade als Thema entdecken.

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