EU-Gipfel:Europa als Maß

Der EU-Gipfel wird zeigen, ob die Europäer den Mut haben, sich aus ihren nationalen Eigenbröteleien zu befreien - oder ob Europa abstürzt.

Martin Winter

Krisen haben zumindest ein Gutes. Sie bieten die Gelegenheit, ausgetretene Pfade zu verlassen und neue Wege zu gehen. Wenn nun also die politischen Führer Europas in diesen Tagen weltwirtschaftlicher Untergangsstimmung auf ihrem Gipfeltreffen um den globalen Schutz des Klimas ringen, sich um den besten Weg aus dem Konjunktur-Tal streiten und die Reform der Europäischen Union endlich unter Dach und Fach zu bringen versuchen, dann geht es um noch mehr. Dann bekommt auch das Kleingedruckte ein Gewicht weit über seine sachliche Bedeutung hinaus. Es wird zum Indikator von Stärke oder Schwäche.

EU-Gipfel: Einigkeit muss her beim EU-Gipfel, auch zwischen Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy.

Einigkeit muss her beim EU-Gipfel, auch zwischen Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy.

(Foto: Foto: Reuters)

Überall auf der Welt wird verzweifelt nach Auswegen aus den Krisen gesucht. Andere Länder und Kontinente werden diesen EU-Gipfel daher genau beobachten. Sie werden an Europa Maß nehmen. Sie werden wissen wollen, ob hinter dem europäischen Anspruch auf eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz mehr als Maulheldentum steckt.

Mut und Kraft

Ob die Europäer den Mut und die Kraft haben, sich aus ihren nationalen Eigenbröteleien zu befreien und sich den globalen Herausforderungen gemeinsam zu stellen. Europa kann jetzt beweisen, dass es für Führungsaufgaben taugt und Verantwortung über seine Grenzen hinaus zu übernehmen bereit und fähig ist.

Dass die Europäer mehr können, als nur auf dem Basar ihres gemeinsamen Marktes zu feilschen, haben sie im Sommer gezeigt. Auf den Krieg um Georgien reagierte die Union unter französischer Präsidentschaft und mit tatkräftiger deutscher Unterstützung schnell, umsichtig und erfolgreich. Als das globale Finanzsystem in die Knie ging, knirschte es zwar kurz im europäischen Gebälk, aber dann wurde überzeugend und aufeinander abgestimmt gehandelt.

Mit dem Einbruch der Konjunktur aber fielen die europäischen Staaten auf die alte Unart zurück, ihr Heil zwischen den heimischen Wänden zu suchen. Die Regierungen in Paris und Berlin, die eigentlich die EU gemeinsam vorwärts ziehen müssten, haben sich im Streit um die Ankurbelung der Konjunktur sogar dermaßen ineinander verkeilt, dass sie Europa wirtschaftspolitisch an den Rand der Lähmung gebracht haben. Solch ein Europa beeindruckt niemanden.

Eine Chance aber bleibt. Gelingt es, ein ehrgeiziges Programm zum Schutz des Klimas mit einem ambitionierten Plan zur Belebung der Konjunktur zu verbinden, dann setzen die Europäer der Welt ein Beispiel. Klimaschutz und eine Ankurbelung der Konjunktur müssen kein Gegensatz sein, wenn man es klug anpackt.

Richtig gestalteter Klimaschutz ist kein Jobkiller, sondern zwingt zu technischen Innovationen, die neue Arbeitsplätze schaffen. Das belebt auch den Export. Im Klimapaket selbst steckt schon ein Konjunkturprogramm. Das greift aber nicht, wenn sich die Staaten der EU nur zu dem durchringen, was Autohersteller, Stromproduzenten und die energieintensiven Industrien allerhöchstens verkraften zu können behaupten.

Auf der nächsten Seite: Warum Deutschland das europäische Zugpferd spielen sollte.

Europa als Maß

Europäischer Mut wird auch nötig sein, die Konjunktur generell wieder in Gang zu bringen. Dabei kommt es nicht so sehr darauf an, wie viel Geld die Europäer in die Hand nehmen. Entscheidend ist, dass sie es gemeinsam und gezielt tun.

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(Foto: Foto: SZ-Grafik)

Die Krise trifft die europäischen Staaten ohne Unterschied. Es gäbe viele Möglichkeiten für zukunftsträchtige Investitionen, auch über nationale Grenzen hinweg. Berlins Ärger über die EU-Partner, die von Deutschland nun besondere Anstrengungen verlangen, ist verständlich, nutzt aber wenig. Als mit Abstand größtes Industrieland und größter Profiteur des gemeinsamen Marktes agiert Deutschland im eigenen Interesse, wenn es das europäische Zugpferd spielt.

Vor einem Jahr haben sich die Europäer auf Drängen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel auf ehrgeizige Klimaziele verständigt. Europa beansprucht seitdem die Vorreiterrolle beim Klimaschutz. Schleichen sich die Europäer aus diesem Versprechen jetzt fort, dann sieht es schlecht aus für den Klimaschutz.

Europa muss Einigkeit zeigen

Denn der neue amerikanische Präsident mag ja guten Willens sein. Aber die USA sind noch weit davon entfernt, die Welt mit sich zu ziehen auf dem Weg zu einem Klimaschutz, der diesen Namen verdient. Und wenn der europäische Druck nachlässt, dann werden auch die Amerikaner sich nicht beeilen, geschweige denn Chinesen oder Inder.

Europa muss jetzt Einigkeit zeigen, wenn es die Erwartungen, die es selbst geweckt hat, erfüllen will. Es ist höchste Zeit, dass Berlin und Paris ihre europäische Führungsrolle wieder übernehmen - und zwar gemeinsam. Europa war immer nur dann stark, wenn Deutsche und Franzosen am gleichen Strang in die gleiche Richtung gezogen haben.

Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy sollten sich daran nicht nur erinnern, sondern auch entsprechend handeln. Wenn sie es zulassen, dass der EU-Gipfel sich mit Minimalbeschlüssen begnügt, nur um irgendein Ergebnis vorweisen zu können, dann kegelt Europa sich selber aus dem Kreis der ernstzunehmenden Mächte.

Dieses Treffen hat die Bezeichnung Gipfel wirklich verdient. Es kann zu einer Wegmarke werden, an der sich andere Kontinente und Länder orientieren. Aber er kann auch der Ort werden, an dem Europa abstürzt.

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