EU-Gipfel:Den eisigen Wind gezähmt

Wenn sich die Regierungschefs der EU in Brüssel zum Gipfel treffen, müssen sie sich anstrengen, nicht allzu gute Laune zu haben. Denn einige Dinge, die bedrohlich aussahen, verlieren gerade ihren Schrecken.

Von Marc Beise

Wie im richtigen Leben kommt es auch in der Politik häufig erstens anders, als man zweitens denkt. Eben noch galt die Europäische Union als Auslaufmodell, waidwund geschossen von den Populisten, heillos verstrickt in ihrer bürokratischen Binnensicht, verlassen von den Briten, unbeweglich, ungeliebt und ohne Perspektive. Nun versammeln sich die Staats- und Regierungschefs zum Gipfel in Brüssel und müssen sich anstrengen, nicht zu gute Laune zu haben.

Namentlich der Brexit, also der eingeleitete Ausstieg Großbritanniens aus der Union, wird in Brüssel zunehmend nicht mehr als Bedrohung gesehen, sondern vielleicht sogar als Chance, Europa neu zu justieren. Die Verhandlungen werden schwierig und langwierig, ja, aber am Ende wird es weiter Austausch mit den Freunden jenseits des Kanals geben. Und auch der eisige Wind, den Donald Trump im Namen der USA über den Atlantik bläst, verwandelt sich in Brüssel in einen lauen Wind, der die Union eher erfrischt als frieren lässt.

Bilaterale Abkommen bedeuten nicht das Ende des Handels

In der Handelspolitik heißt die neue Losung: bilaterale Abkommen. Das klingt gefährlicher, als es ist. Zwar sind bilaterale Abkommen immer nur die zweitbeste Lösung. Der große Ansatz der Welthandelsorganisation WTO, alle Staaten der Welt in einem gemeinsamen Regelwerk zu vereinen, war richtig, angesichts der Streitigkeiten in der Welt fast schon genial. Das kann aber, solange es keine Weltregierung gibt, keine Weltpolizei, kein Weltkartellamt und keinen Weltgerichtsvollzieher, nur funktionieren, wenn insbesondere die mächtigen Staaten sich an die Regeln halten und bereit sind, gegebenenfalls auch nachzugeben. Zunehmend besser hat das über die Jahre funktioniert; sogar Russland und China waren bereit, sich in dieses System zu integrieren. Trump hat diesen Konsens aufgekündigt, will nicht im Team spielen, sondern nach dem Motto "Einer gegen alle". Solange das so bleibt, wird die WTO ein Dasein als Untote fristen. Das ist bedauerlich, aber nicht zu ändern, und es ist auch nicht das Ende aller Dinge.

Der EU bleibt nun gar nichts anderes übrig, als sich bei Vertragspartnern von außerhalb nun auf bilaterale Handelsbeziehungen zu konzentrieren. Was es nicht geben darf: dass einzelne EU-Staaten getrennte Wege gehen, die Gemeinschaft als Ganzes ist nun gefordert. Das Abkommen mit Japan, das derzeit verhandelt wird, was die Europäer Trump zum G-20-Gipfel in Hamburg trotzig engegenhalten wollen, ist prinzipiell der richtige Weg. Es geht immerhin um ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung. Wenn es gelänge, Handelserleichterungen für die Wirtschaft zu vereinbaren und gleichzeitig die Rechte der Bürger und Verbraucher zu schützen, könnte dies ein kraftvolles Signal für den Freihandel sein. Bilaterale Abkommen gehen in Ordnung, solange die Möglichkeit offengehalten wird, andere Staaten einzubeziehen und sich auf eine Zeit vorzubereiten, da der Multilateralismus wieder zu blühen beginnt. Womöglich auch wieder in den Vereinigten Staaten.

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