EU-Gipfel:Cameron setzt sich bei Brexit-Verhandlungen durch

David Cameron spricht nach der Einigung auf dem EU-Gipfel

"Das reicht mir" - um den Verbleib des Königreichs in der EU seinen Bürgern zu empfehlen: Premier David Cameron nach der Einigung.

(Foto: John Thys/AFP)
  • Der britische Premierminister Cameron und EU-Vertreter haben sich auf eine Vereinbarung geeinigt, das den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU ermöglichen soll.
  • Cameron hat seine Forderungen etwa zur Kürzung von Sozialleistung von EU-Einwanderern weitestgehend durchgesetzt; das Vereinigte Königreich ist auch nicht mehr an das EU-Ziel einer "immer engeren Union" gebunden.
  • Voraussichtlich im Sommer soll das britische Volk in einem Referendum über den Verbleib in der EU abstimmen.

Von Daniel Brössler und Alexander Mühlauer, Brüssel

Sie haben in den Abgrund geschaut. Zwei Tage lang rangen Europas Staats- und Regierungschefs um einen neuen Vertrag mit Großbritannien. Es galt zu verhindern, dass erstmals in der Geschichte der Europäischen Union ein Mitglied die Gemeinschaft verlässt. Erst am späten Freitagabend kam die erlösende Nachricht: Premierminister David Cameron kann mit einem Deal nach London zurückkehren.

Um 22.34 Uhr veröffentlichte EU-Ratspräsident Donald Tusk im Kurznachrichtendienst Twitter die Meldung: "Deal. Einstimmige Unterstützung für eine neue Vereinbarung für Großbritannien in der EU." Der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka, einer der Wortführer der Staaten, die Widerstand gegen britische Forderungen geleistet hatten, nannte die Einigung einen "vernünftigen Kompromiss."

Die Verhandlungen gerieten immer wieder ins Stocken

Es ist ein Kompromiss freilich, bei dem sich Cameron wie ein Sieger fühlt. Er habe einen Deal ausgehandelt, "der Großbritannien einen Sonderstatus in der EU gibt", erklärte der britische Premier. Er gehe nun davon aus, dass die Einigung ausreiche, um den Briten den Verbleib in der EU zu empfehlen. Ein entsprechendes Referendum könnte bereits im Juni stattfinden. So sollen zugewanderte Arbeitnehmer aus anderen EU-Staaten in Großbritannien künftig erst nach vier Jahren Anspruch auf volle Sozialleistungen haben. Großbritannien darf die Regelung sieben Jahre anwenden.

Zuvor hatten sich die Verhandlungen als Nervenkrieg erwiesen. Erst strapazierte Cameron die Staats- und Regierungschefs mit seinen Forderungen. Dann überraschte Griechenlands Premier Alexis Tsipras seine Kollegen mit einem Vorstoß. Er machte sein Ja zum Deal mit London von Zusagen in der Flüchtlingskrise abhängig. Athen wolle die "einstimmige Entscheidung", dass bis zum nächsten EU-Gipfel im März kein Staat einseitig seine Grenze für Flüchtlinge schließe, wie es in Athener Regierungskreisen hieß. "Wenn nicht, wird die griechische Regierung dem Abschlusstext nicht zustimmen."

Immer wieder geriet der Zeitplan am Freitag in Verzug. Bereits am Donnerstag hatte die Suche nach Gemeinsamkeiten Kanzlerin Angela Merkel und ihren europäischen Partnern eine lange Nacht beschert. Cameron sagte: "Ich werde mich nur auf eine Vereinbarung einlassen, wenn wir bekommen, was Großbritannien braucht."

Das steht in der Vereinbarung

Besonders umstritten waren Gesetzesänderungen, die es London erlauben würden, Sozialleistungen für neue Arbeitnehmer aus EU-Staaten einzuschränken. Vor allem osteuropäische Staaten stemmten sich gegen Einzelheiten dieses Vorhabens, das besonders ihre Landsleute betreffen würde, von denen viele in Großbritannien arbeiten. Cameron hatte ursprünglich verlangt, dass diese "Notbremse" 13 Jahre lang in Kraft bleibt.

Ein weiterer Streitpunkt war Londons Forderung, das im EU-Vertrag verankerte Ziel der "immer engeren Union der Völker" zu relativieren. Die Einigung sieht nun vor, dass Großbritannien nicht an dieses Ziel gebunden ist. "Großbritannien wird nie zum Teil eines europäischen Superstaates", sagte Cameron.

Entschärft werden konnte auch ein Konflikt um die Rechte des Vereinigten Königreichs als Nicht-Euro-Staat. Für alle Mitgliedstaaten müsse es bei der strikten Finanzmarktregulierung und den Beschränkungen für Spekulationsgeschäfte bleiben, um neue Finanzkrisen zu verhindern, hatte der französische Staatspräsident François Hollande gefordert. London solle kein "Veto- oder Blockaderecht" erhalten. Frankreich befürchtete, neue Freiheiten könnten dem Finanzzentrum London unfaire Wettbewerbsvorteile verschaffen.

Beratungen über Flüchtlingssituation

In der Flüchtlingskrise setzt die EU weiter auf die Türkei als entscheidenden Verbündeten. "Wir haben bestätigt, dass es keine Alternative gibt zu einer guten, intelligenten und weisen Zusammenarbeit mit der Türkei", sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Inhaltlich gab es jedoch kaum Fortschritte, Anfang März soll auf einem Sondergipfel mit der Türkei eine Zwischenbilanz gezogen werden. Dieses Treffen soll vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt stattfinden. Denn Merkel erhofft sich vorher ein Signal zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen.

Auf dem Brüsseler Gipfel sagte die Kanzlerin: "Ich bin sehr zufrieden mit der Diskussion, weil sie sehr deutlich gemacht hat, was uns eint. Und das ist doch unter den 28 Mitgliedstaaten eine ganze Menge." Die EU wolle ihre Außengrenzen besser schützen, die Flüchtlingszahlen spürbar reduzieren und den Zuzug illegaler Migranten bekämpfen. Dabei habe die EU die Zusammenarbeit mit der Türkei nicht nur bekräftigt, sagte die Kanzlerin, "sie ist unsere Priorität bei der Umsetzung dieser Ziele". Sie sei sich sicher, dass man "relativ schnell Ergebnisse sehen" werde.

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