Flüchtlingsgipfel:Die EU zieht die Tür weiter zu

  • Das Ergebnis des EU-Gipfels ist vage. Viele der beteiligten Länder werden einen Erfolg für sich reklamieren können.
  • Gerade rechtsgerichtete Regierungen wie Italien und die Visegrád-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei können zufrieden sein.
  • Die geplanten Auffangzentren für Flüchtlinge werden zwar vor allem in Italien und Spanien errichtet, doch offenbar haben sich zwölf Staaten bereit erklärt, sie zu entlasten.
  • Was die Beschlüsse für die Kanzlerin im Streit mit der CSU bedeuten, wird sich am Wochenende zeigen.

Analyse von Thomas Kirchner, Brüssel

Es ist vollbracht. Acht Stunden am Stück stritten die Teilnehmer des EU-Gipfels in der Nacht auf Freitag über ein einziges Thema: die Migration. Das Resultat spiegelt die noch immer erheblichen Differenzen, ja die Zerrissenheit der Europäer wider. Länger und länger wurde der zu verabschiedende Text im Laufe der Nacht. Am Ende, um 4.34 Uhr, geriet er so vage, dass alle irgendwie einen Sieg herauslesen können. Die italienische Regierung vorneweg, die zwischendurch drohte, alles zu blockieren, und schließlich erreichte, was sie wollte: ein Zeichen der Solidarität.

Ist das ein Erfolg für Europa? Das wird sich zeigen. Immerhin, es gibt eine Einigung, es hätte schlimmer kommen können. Sicher ist nur: Die EU zieht die Tür für Migranten noch weiter zu, der Kurs in der Asylpolitik wird in Geist und Inhalt massiv verschärft. Das vor allem ist es, was Angela Merkel der CSU nun präsentieren kann. Eine konkrete Zusage über die gewünschten bilateralen Abkommen zur Rücknahme von Asylbewerbern hingegen hat sie allerdings (noch) nicht erhalten. Ob das alles reicht, um ihre Kanzlerschaft zu retten, werden die kommenden Tage zeigen.

Menschenrechtsorganisationen zeigten sich entsetzt über die Einigung von Brüssel. Pro Asyl sprach von einem "Gipfel der Inhumanität". Es sei inhuman, Gefolterte und Verfolgte einfach in Europa "wegzusperren". Die geplanten Zentren würden "Lager der Hoffnungslosigkeit".

Im Detail sind die Beschlüsse ein Mix aus französischen, italienischen, aber auch mittel- und osteuropäischen Positionen. Beim Transport der Migranten über das Mittelmeer soll sich Entscheidendes ändern. So sollen gerettete Migranten künftig in "kontrollierte", also geschlossene Zentren auf dem Boden der EU-Staaten gebracht werden können, wie sie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gefordert hatte. Dort müssten die Flüchtlinge aufgenommen, registriert und so lange festgehalten werden, bis über ihre Schutzwürdigkeit entschieden ist.

Eine Flüchtlingsquote ist durch den EU-Beschluss vom Tisch

Italien erhält die geforderte Zusicherung, dass die auf See Geretteten nicht mehr automatisch in seine Häfen gebracht würden, sondern dass man die Verteilung "auf der Basis einer gemeinsamen Anstrengung" vornehmen werde. "Von diesem Gipfel geht ein solidarischeres Europa aus", jubelte Premier Guiseppe Conte. "Ab heute ist Italien nicht mehr allein."

Dass die Beschlüsse Italien tatsächlich entlasten werden, ist zweifelhaft. Denn klar ist, dass die Zentren vor allem auf italienischem und griechischen, vielleicht auch spanischem, aber nicht etwa auf französischem Boden stehen werden. Und völlig offen bleibt, wo die Migranten, wenn sie schutzbedürftig sind, hingebracht werden. Offenbar hat sich ein knappes Dutzend Staaten, einschließlich Deutschland, bereit erklärt, den Ländern an der Außengrenze diese Last teilweise abzunehmen.

Aber, und das wird im Text mehrfach betont und wiederholt, alles geschieht "auf freiwilliger Basis, ohne Präjudiz (richtungsweisende Entscheidung; Anm. d. Red.) für die Dublin-Reform". Hier haben die Visegrád-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei erfolgreich und energisch die Bremse gezogen. Eine Pflicht zur Aufnahme von Flüchtlingen, eine Quote, ist damit wohl endgültig vom Tisch. Ein Teil Europas wird Flüchtlinge aufnehmen, ein Teil wird sich weigern. Punkt.

Merkel hat nicht viel in der Hand - aber mehr als nichts

Geprüft werden soll die von Ratspräsident Donald Tusk eingebrachte Idee, Migranten in "Ausschiffungszentren" außerhalb Europas zu bringen. Das wird als "neuer Ansatz" gepriesen. Von Zusammenarbeit mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration ist die Rede. Hier bleiben so viele rechtliche und praktische Fragen offen, nicht zuletzt hinsichtlich der Kooperationsbereitschaft nordafrikanischer Staaten, dass wohl eher ein Wunschtraum, wenn nicht gar eine Illusion in Worte gegossen wurde.

Erwünscht werden weitere Abkommen nach dem Vorbild des Deals mit der Türkei. Die Türkei soll schnell die zweite Tranche der für sie vorgesehenen sechs Milliarden Euro erhalten, und überhaupt soll im EU-Budget künftig immer genügend Geld speziell für das Locken und Überzeugen von Herkunfts- und Transitstaaten vorhanden sein.

Und Merkel? Im Streit mit der CSU erhält sie nur ein paar Zeilen Text, der alles offen lässt: Die Sekundärmigration, also das Weiterreisen von Asylbewerbern zwischen den EU-Staaten, wird als "Gefährdung für das europäische Asylsystem" bezeichnet. Die Mitgliedstaaten "sollten alle nötigen internen legislativen und administrativen Maßnahmen ergreifen, um solche Bewegungen zu verhindern und dabei eng zusammenarbeiten". Die EU-Staats- und Regierungschefs hätten damit festgestellt, "dass auch hier für Ordnung und Steuerung gesorgt werden muss", sagte die Bundeskanzlerin. Sie hat damit nicht allzu viel in der Hand. Aber mehr als nichts.

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